Beweis des Memory-Effekts von Lithium-Ionen-Akkus

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Lithium-Ionen-Batterien haben immer noch den guten Ruf, keinen Memory-Effekt aufzuweisen. Sie sind die primären Stromspeicher für Notebooks, Mobiltelefone und Elektoautos. Die Forscher des Paul Scherrer Instituts und des Toyota-Forschungslabors haben jedoch schon vor zwei Jahren auch bei Lithium-Ionen-Batterien einen Memory-Effekt entdeckt.

Petr Novak, PSI

Petr Novak leitet die Sektion Elektrochemische Energiespeicherung am Paul Scherrer Institut. (pd)

Seit Langem bekannt ist der Memory-Effekt bei Nickel-Cadmium- und Nickel-Metallhydrid-Batterien. Sie befanden sich unter anderem auch in den ersten Handys, die bis Ende der 1990er Jahre verkauft wurden. Bei Lithium-Ionen-Batterien hatte man jedoch bisher die Existenz eines solchen Effekts ausgeschlossen und erfolgreich vermarktet. Wie von Konsumenten oftmals vermutet, geschah die zu Unrecht.

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Viele unserer Alltagsgeräte, die ihre Energie aus einer Batterie beziehen, sind mit einer Art Gedächtnis ausgestattet. Wird zum Beispiel das Smartphone oder das Notebook immer wieder aufgeladen, bevor die Batterie leer läuft, kann sich die Vorsicht des Nutzers nachträglich rächen. Die Batterie scheint sich nämlich zu merken, dass ihr immer nur ein Teil ihrer Speicherkapazität entnommen wird; sie liefert irgendwann mehr ihr volles Potenzial. Fachleute sprechen dann von einem «Memory-Effekt», weil die Arbeitsspannung der Batterie durch die unvollständigen Lade-/Entladezyklen mit der Zeit sinkt. Die Spannung der Batterie ist trotz vorhandener Ladung irgendwann zu niedrig, um das fragliche Gerät anzutreiben. Der Memory-Effekt hat also zwei negative Folgen: Die nutzbare Speicherkapazität der Batterie wird reduziert und die die Korrelation zwischen Spannung und Ladezustand wird verschoben, sodass der Ladezustand nicht mehr verlässlich anhand der Spannung bestimmt werden kann.

Folgen des Memory-Effekts für die Elektromobilität

Der Lithium-Ionen-Akku ist im Fahrzeugboden vor der Hinterachse untergebracht. (pd)


Festgestellt wurde der Memory-Effekt an einem der meistverbreiteten Materialien für die positive Elektrode von Lithium-Ionen-Batterien: Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4). Bei dieser Verbindung sind der nun entdeckte Memory-Effekt und die damit verbundene anomale Abweichung der Arbeitsspannung besonders folgenreich. Bei Lithium-Eisenphosphat bleibt die Spannung nämlich über einen grossen Bereich des Ladezustands praktisch unverändert. Das bedeutet, dass bereits eine kleine anomale Abweichung der Arbeitsspannung als eine grosse Veränderung im Ladezustand missdeutet werden könnte. Oder mit anderen Worten: wenn aus der Spannung auf den Ladezustand geschlossen wird, kann hier schon durch eine kleine Abweichung der Spannung ein grosser Schätzfehler entstehen.

Die Existenz des Memory-Effekts ist vor allem im Hinblick auf den zu erwartenden Einzug von Lithium-Ionen-Batterien in den Bereich der Elektromobilität relevant. Insbesondere bei Hybridautos, bei deren normalem Betrieb sehr viele Zyklen partieller Ladung/Entladung stattfinden, würde der Effekt auftreten. In diesen Fahrzeugen wird die Batterie nämlich bei jedem Bremsvorgang durch den zum Generator verwandelten Motor aufgeladen. Entladen wird sie auch meist nur partiell, etwa um den Verbrennungsmotor in Beschleunigungsphasen zu unterstützen. Die vielen aufeinanderfolgenden Zyklen unvollständiger Ladung bzw. Entladung können die Aufsummierung der einzelnen kleinen Memory-Effekte zu einem grossen Memory-Effekt zur Folge haben, wie die neue Arbeit zeigt. Dies würde einen Fehler bei der Abschätzung des momentanen Ladezustandes der Batterie zur Folge haben, falls der Ladezustand von der entsprechenden Software anhand des aktuellen Wertes der Spannung berechnet wird.

Ursache des Memory-Effekts

 

Grafik 1: Im zweiten Lade-Zyklus (rot) macht sich der Memory-Effekt durch eine Überspannung (kleine „Beule“) bemerkbar und zwar genau an der Stelle, an der der erste partielle Ladezyklus abgebrochen wurde. Ganz rechts zum Vergleich ist die normale Spannungskurve zu sehen. (Nature Publishing Group)

 

Die Ursache für den Memory-Effekt orten die Wissenschaftler in der Art und Weise, wie das Laden bzw. Entladen der Batterien auf der mikroskopischen Ebene vor sich geht. Das Elektrodenmaterial – in diesem Fall Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) – besteht aus einer Unzahl von mikrometerkleinen Partikeln, die eins nach dem anderen aufgeladen und entladen werden. Diese Vorstellung der Lade- und Entladevorgänge bezeichnen die Forscher als Vielteilchen-Modell. Das Laden schreitet Partikel für Partikel voran und besteht darin, dass die Teilchen Lithium-Ionen abgeben. Eine komplett geladene Partikel ist demnach Lithium-leer und besteht somit nur noch aus Eisenphosphat (FePO4). Das Entladen wiederum besteht in der Wiederansammlung von Lithium-Atomen in den Elektroden-Partikeln, sodass aus Eisenphosphat (FePO4) wieder Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) wird.

Die Änderungen des Lithium-Anteils, die mit dem Laden und Entladen einhergehen, verursachen eine Änderung des chemischen Potenzials der einzelnen Partikel, was wiederum die Spannung der Batterie verändert. Allerdings sind Laden und Entladen keine linearen Prozesse. So steigt zunächst beim Laden das chemische Potenzial mit der fortschreitenden Abgabe von Lithium-Ionen. Dann aber erreichen die Partikeln einen kritischen Wert des Lithium-Anteils und des chemischen Potenzials. An diesem Punkt findet ein abrupter Übergang statt: die Partikel geben ihre verbleibenden Lithium-Ionen sehr rasch ab, ohne dass sich dabei ihr chemisches Potenzial verändert. Es ist genau dieser Übergang, der erklärt, warum die Spannung der Batterie über einen grossen Bereich praktisch unverändert bleibt, dem sogenannten Spannungs-Plateau.

Die Barriere zwischen arm und reich

Die Existenz dieser Potenzialbarriere ist entscheidend für das Auftreten des Memory-Effekts. Haben die ersten Partikel die Potenzialbarriere überschritten und sind sie Lithium-leer geworden, kommt es zur Aufspaltung der Partikel-Population der Elektrode. Das heisst: Es gibt nun eine scharfe Trennung zwischen an Lithium armen und reichen Partikeln (siehe Grafik 2). Wenn die Batterie nicht vollständig geladen wird, bleibt also eine bestimmte Anzahl Lithium-reicher Partikeln übrig, die es nicht über die Barriere geschafft hat. Diese Partikeln bleiben aber nicht lange am Rand der Barriere, denn dieser Zustand ist nicht stabil, sondern sie «rutschen den Hang hinab», das heisst, ihr chemisches Potenzial sinkt. Selbst wenn die Batterie wieder entladen wird und alle Teilchen wieder vor der Barriere zu liegen kommen, bleibt diese Aufspaltung in zwei Gruppen bestehen.

Und nun kommt das Entscheidende: Beim nächsten Ladevorgang wird zuerst die erste Gruppe (Lithium-ärmere Partikeln) über die Barriere gebracht, während die zweite Gruppe (Lithium-reich) quasi hinterherhinkt. Damit die verzögerte Gruppe die Barriere erreicht, muss nun ihr chemisches Potenzial weiter erhöht werden und genau das verursacht die den Memory-Effekt kennzeichnende Überspannung (Beule in der Grafik 1). Der Memory-Effekt ist also die Konsequenz der Aufspaltung der Partikel-Population in zwei Gruppen mit deutlich unterschiedlichen Lithium-Anteilen, was wiederum daraus folgt, dass die Partikeln eins nach der anderen über die Potenzial-Barriere springen. Die Überspannung, durch die der Effekt sich bemerkbar macht, entspricht der zusätzlichen Arbeit, um diejenigen Partikeln über die Potenzial-Barriere zu befördern, die nach einer unvollständigen Ladung zurückgeblieben waren.

Warten, bis das Gedächtnis schwindet

Die Zeit, die zwischen Laden und Entladen einer Batterie verstreicht, spielt eine wichtige Rolle für den Zustand der Batterie am Ende dieser Vorgänge. Laden und Entladen sind nämlich Prozesse, die das thermodynamische Gleichgewicht der Batterie aufheben, und durch eine Wartezeit kann sich dieses Gleichgewicht wieder einstellen. Die Forscher fanden heraus, dass eine genügend lange Wartezeit den Memory-Effekt auszulöschen vermag. Dies geschah aber, in Einklang mit dem Vielteilchen-Modell, nur unter bestimmten Bedingungen. So verschwand der Memory-Effekt, wenn man nach einem Zyklus bestehend aus partieller Ladung und anschliessender vollständiger Entladung lange genug wartete. In diesem Fall waren die zwei Partikelgruppen nach der vollständigen Entladung zwar getrennt, aber auf ein und derselben Seite der Potenzialbarriere. Die Trennung verschwand also, weil die Partikeln einem Gleichgewichtszustand zustrebten, in dem sie alle den gleichen Lithium-Anteil hatten. Bestehen geblieben ist der Memory-Effekt hingegen selbst dann, wenn man nach der unvollständigen Ladung und vor der Entladung beliebig lange wartete. Hier befanden sich die Partikeln nämlich auf gegenüberliegenden Seiten der Potenzialbarriere und diese verhinderte eine Aufhebung der Aufspaltung in Lithium-arm und Lithium-reich.

 Laut Petr Novák, Leiter der Sektion für elektrochemische Energiespeicherung am PSI und Mitautor der Publikation, räumt die Studie einen lang gehegten Irrglauben aus: «Uns ist keine Studie bekannt, bei der man gezielt einen Memory-Effekt bei Lithium-Ionen-Batterien gesucht hätte. Man hat bisher einfach angenommen, dass kein solcher Effekt auftritt.» Zur Erkenntnis gelangt sei man nun dank einer in der Forschung oft fruchtbaren Mischung aus Spekulation und Sorgfalt: «Dass wir jetzt fündig geworden sind, ist das Resultat einer Kombination von kritischem Hinterfragen und genauer Beobachtung. Der Effekt ist nämlich winzig: Die relative Abweichung in der Spannung beträgt nur wenige Promille.» Aber entscheidend sei die Idee, überhaupt nach dem Effekt zu suchen. Bei normalen Batterie-Tests würden üblicherweise tiefe statt unvollständige Lade-/Entlade-Zyklen gefahren. «Es hat deshalb einen Geistesblitz gebraucht, um sich überhaupt die Frage zu stellen, was bei partiellem Laden passieren könnte.»

Für die voranschreitende Anwendung von Lithium-Ionen-Batterien in Fahrzeugen ist mit der jüngsten Entdeckung jedoch nicht das letzte Wort gesprochen. Es sei nämlich durchaus möglich, dass der Effekt durch kluge Anpassungen der Software im Batterie-Managementsystem rechtzeitig festgestellt und berücksichtigt werden wird, betont Novák. Sollte das gelingen, stünde der Memory-Effekt dem sicheren Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien in Elektroautos nicht im Wege. Nun seien also die Ingenieure gefordert, den richtigen Umgang mit dem eigentümlichen Gedächtnis der Batterie zu finden.

 

Memory-Effekt bei Lithiumionen-Batterien 2

Grafik 2: Beim Ladezyklus in Figur «f» wird erst die Gruppe der Lithium-ärmeren Teilchen über die Barriere gebracht. Um auch die zweite, verzögerte Gruppe der Lithium-reicheren Teilchen über die Barriere zu befördern, muss zusätzliche Arbeit geleistet werden. Dies drückt sich aus in einer Überspannung, die das Kennzeichen des Memory-Effekts bildet. (Nature Publishing Group)

 

(Leonid Leiva, PSI)

Originalveröffentlichung

Tsuyoshi Sasaki, Yoshio Ukyo und Petr Novák. Memory effect in a lithium-ion battery. Nat. Materials, Advanced Online Publication. doi: 10.1038/NMAT3623; http://dx.doi.org/10.1038/NMAT3623

Werbevideo zur Funktionsweise von Lithium-Ionen-Akkus

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