Was hat der Computer, das der Mensch nicht hat?

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Seitdem Maschinen uns Menschen in zahlreichen Bereichen überlegen sind, kann man sich die Frage stellen, wohin das alles führen soll; ob es uns eines Tages überhaupt noch braucht und welche Rolle wir dann noch spielen? Am diesjährigen Ittinger Mediengesprächs der IBM war die Künstliche Intelligenz (AI) im Fokus.

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Computer ersetzen immer mehr Menschen und deren Entscheidungen, wie zum Beispiel beim Einkaufen für den Apfelkuchen. (pd)

Seit es Computer gibt, hat man versucht menschliches Denken zu simulieren. Artificial intelligence nannte man das Gebiet, in dem man sich Ende der sechziger Jahren Aufgaben stellte wie formale Logik, Erkennung der menschlichen Sprache, Übersetzung von Texten und das Spielen von Schachpartien. Vorwiegend war aber die schwache Leistung der Maschinen daran schuld, dass nur enttäuschende Vormärsche erreicht wurden. In den achtziger Jahren hatten dann Expertensysteme ihre Sternstunde, eine Mode, die so schnell verlief wie sie wuchs: wirkliche Entscheidungen konnte man den Rechnern, ausser in elementarsten Fällen, wirklich nicht zutrauen.

AI: die Wiedergeburt

Ein halbes Jahrhundert nach Geburt der Disziplin ist die Lage aber vollständig anders. Rechenleistungen und Speicherkapazitäten sind exponentiell gestiegen und, fast noch wichtiger, alle Maschinen sind mittlerweile im Internet verbunden. Spracherkennungs- und Übersetzungssysteme sind heute mehr als brauchbar und Computer übertreffen Menschen bei Spielen wie Schach oder Jeopardy! Von grösserer Bedeutung scheint aber zum Beispiel die Verwendung der IBM-Watson-Maschine als Expertensystem zur Unterstützung der Ärzte bei der Diagnose und Therapiewahl bei Krebserkrankungen. Ein Expertensystem, das seine Vorschläge aber nicht auf formelle Logik sondern auf die immense Wissensbasis im Gebiet stützt.

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Kognitiv im Vormarsch

Martin Schmatz - IBM

Dr. Martin Schmatz von IBM sieht x86-Hardware am Ende ihrer Entwicklung. (pd)

Dr. Martin Schmatz, Manager Cloud Server Technologie bei IBM Research Zürich, berichtete über: Cognitive Computing, wo stehen wir und wo geht die Reise? Auf der technologischen Seite: Moore’s Law (die Miniaturisierung) wird zwar weiter gelten, aber Geschwindigkeitserhöhungen sind kaum noch zu erwarten. Einheitslösungen («one-size-fits-all», sprich Arrays von x86-Maschinen) werden heute schon, sicher in den nächsten zehn Jahren, immer mehr durch aufgabenspezialisierte Architekturen ersetzt, zum Beispiel datenbank-optimierte Maschinen. Dies, bevor sich in einem Jahrzehnt wahrscheinlich neue Ansätze wie Quantum-, DNA-, Neuronale oder noch andere Computer durchsetzen werden. Sicher ist aber, dass kognitive Aufgaben immer wichtigere Nutzlasten werden.

«Geist lässt sich nicht auf Gehirn reduzieren.» – Prof. em. Georg Kohler

Unter kognitiv verstehen wir: bezogen auf mentale Aktivitäten wie wahrnehmen, denken, verstehen, lernen, sich erinnern. Und in der IT: beispielsweise aus grossen Datenmengen nützliche Erkenntnisse gewinnen. Untersuchungen über die Funktionsweise des menschlichen Hirns werden nicht nur die Gehirnmedizin unterstützen, sondern auch dazu beitragen, Daten von Sensor-Arrays effizienter zu bearbeiten, Fragen in menschlicher Sprache besser zu beantworten und Beziehungen zwischen Daten zu ordnen und visualisieren.

Kollektive Intelligenz im Einsatz

Professor Abraham Bernstein vom Institut für Informatik der Uni Zürich referierte über die «Programmierung des globalen Hirns»: wie man viele (hunderte, tausende oder noch mehr) Menschen mobilisiert, um durch Nutzung der kollektiven Intelligenz Aufgaben zu lösen, billiger, schneller und mit besserer Qualität. Durch «Soziales Computing» soll die kollektive Intelligenz aktiviert werden. Braucht es dazu ein soziales Betriebssystem, eine Programmiersprache, Software Engineering? Wie können Einzelne motiviert werden, einen Beitrag zu leisten? Bernstein berichtete über ein Experiment an seinem Institut. Aufgabe: 10 Seiten in 20 Minuten für 10 Dollar oder billiger gut von Deutsch auf Englisch zu übersetzen. Die Kandidaten, Crowdworkers genannt, machten Preisofferten für einzelne Aufgaben (zum Beispiel einen Satz) und wurden zuerst auf ihre Fähigkeit getestet. Der Crowdmanager verteilte dann die Aufgaben. In mehr als 1000 Versuchen ergab sich eine gute Übersetzung, wesentlich billiger als auf dem Markt. Sind «Crowdsweatshops» die Zukunft?

Verstehen und lernen

Georg Kohler

Prof. em. Georg Kohler: «Geist lässt sich nicht auf Gehirn reduzieren.»

Haig A. Peter, Executive Briefing Consultant beim Industry Solutions Lab der IBM sprach über Anwendungsszenarien von Maschinen mit kognitiven Fähigkeiten. Traditionelle Suchmaschinen verstehen den Kontext der gestellten Frage meistens nicht. Ein Computer mit kognitiven Fähigkeiten wie Watson hingegen versteht Frage und Zusammenhänge, sammelt Daten von existierenden Quellen, produziert mögliche Antworten mit analysierten Nachweisen und bringt schliesslich Vorschläge mit Zuverlässigkeitsgrad. Er ist auch in der Lage, neue Zusammenhänge zu erkennen. Dazu versteht Watson die natürliche Sprache und ist in der Lage, sich den menschlichen Reaktionen und Selektionen auf seine Antworten anzupassen um Neues zu lernen.

Niemand zuhause

Vielleicht kann uns die hohe Philosophie helfen, zu finden was wir haben und er nicht! Unter dem Titel «Watson vs. Sherlock – Muss man vor dem Computer (keine) Angst haben?»,  legte dann Prof. em. Georg Kohler vom Philosophischen Seminar der Universität Zürich doch den Finger auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Geist lässt sich nicht auf Gehirn reduzieren. Watson kann vielleicht eines Tages wundervolle Sonetts schreiben, dennoch hat er kein Selbstbewusstsein. Im Computer ist niemand zuhause. Menschen können sich jederzeit wieder in Frage stellen, ihre Meinung ändern, wie ist das beim Computer? Unsere Gefühle bleiben schliesslich die letzte Instanz vor der Entscheidung. Prof. Kohler stellte dann abschliessend folgende Thesen und grundsätzliche Fragen auf: Jede (technologische) Eröffnung zwingt uns, neue Regulierungen aufzustellen. Bewirkt die Abhängigkeit von der Technologie einen Verlust unserer Fähigkeiten? Können wir der Technologie überhaupt trauen, dass sie richtige Antworten liefert?

Wenn die Maschine denkt

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Für Uni-Zürich-Professor Abraham Bernstein könnten „Crowdsweatshops“ eine Zukunft haben.

«Was denkt die Maschine, wenn sie sich fragt ob sie denkt?», war dann die Einleitung zur Podiumsdiskussion mit allen Referenten unter der Moderation von Philipp Löpfe, Journalist und Buchautor. Abraham Bernstein meint zum ganzen Thema, es sei heute nicht mehr der Zweck, mit der Maschine den Mensch nachzubauen, sondern Maschinen zu bauen, die Aufgaben lösen, die man früher als intelligent bezeichnet hatte. Geistige Leistungen, Rationalität, Entscheidungsfähigkeit können nachgebaut werden. Nicht aber Intelligenz oder Erfindungsvermögen. Zufall ist ein mächtiger Faktor meint Schmatz, Fehler machen wird bei Instrumenten nicht toleriert. Intelligente Arbeiten sind nicht immer als Intelligenz zu bezeichnen.

Wozu ist der Mensch noch brauchbar?

Die Diskussion drehte sich dann um die quälende Frage, was denn dem Menschen noch für Aufgaben übrig bleiben. Maschinen machen den Arbeitsmarkt kaputt, werden die Menschen nutzlos? Ist es das Ende der Arbeit? Wird Freizeit durch freie Zeit ersetzt? Was soll man dann tun, um nicht zu verdummen? Müssen neue Arbeitsformen erfunden werden?

In diesem Zusammenhang versuchten Carl Frey und Michel Osborne (www.watson.com) zu bestimmen, in welchem Grad bestimmte Berufe durch kognitives Computing unter Drohung stehen. Weniger als 10 Prozent Chancen verdrängt zu werden haben laut dieser Studie Zahnärzte, Sporttrainer, Pfarrer und Redaktoren. Warenhausverkäufer, Buchhalter und Telefonverkäufer liegen am anderen Ende mit über 90 Prozent.

Hohe Sphären

Die Diskussion bewegte sich dann in noch höhere Sphären: Ist diese ganze Entwicklung positiv oder negativ? Chance oder Drohung? Leider machen wir oft Voraussagen indem wir in den Rückspiegel schauen.

Brauchen wir Technokratie statt Demokratie? Die heutigen Probleme wie Umwelt, Ernährung und Gesundheit sind Verteilungsprobleme, die vermutlich durch Technokratie besser gelöst werden könnten. Die Werkzeuge, Bediener der Technokratie, sollten dabei das Leben aller Menschen verbessern.

Ist die Maschine in der Lage, Feind von Freund zu unterscheiden? Ist es ethisch, dem Computer zu delegieren, wo die Bomben fallen?

Alles kommt schliesslich wieder auf die Ausbildung zurück: Wichtig ist zu lernen, wie man lernt, nicht was man lernt; auf möglichst viele Arten denken zu lernen, nicht nur Rezeptdenken anwenden. Die Schule bildet die Kinder und Jugendlichen nicht für die uns überbleibenden Aufgaben aus.

(Jean-Luc Perrenoud)

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Jean-Luc Perrenoud
Jean-Luc Perrenoud promoviert 1968 in Kernphysik an der ETH, betreibt anschliessend Forschung und Lehre an der UCLA und am California Institute of Technology. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wechselt er zur Informatik als Leiter der Systemgruppe in zwei Unternehmen. Seit 1978 ist er selbständig erwerbend und auf Software-Entwicklung spezialisiert. Seine Kurse über Programmierungstechnologie, Datenbankdesign und Objektorientierung auf Französisch, Deutsch und Englisch organisiert er in ganz Europa und in den USA. Während mehrerer Jahre ist er Mitglied der SIZ-Prüfungskommission. Seit 1990 als Freelance IT-Journalist tätig.
Jean-Luc Perrenoud

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