Freie Software ist deutlich mehr als nur Software. Die ihr zu Grunde liegende Philosophie hat einiges mit der Idee und der Praxis der Schule gemeinsam. Der folgende Artikel wurde ursprünglich für das Freie Magazin erstellt und spiegelt die Realitäten in Berlin, insbesondere die Einkaufsvorschrift des preisgünstigsten Lehrmittels. Ansonsten sind die Parallelen zur Schweiz offensichtlich. Autor Sebastian Seitz ist Diplom-Pädagoge und Mitglied des Educational-Teams der Free Software Foundation Europe.
Wenn es darum geht, in der Schule freie Software einzusetzen, kommt es bei Lehrern oftmals zu Verwechslungen mit Freeware. Das mag daran liegen, dass das häufigste Argument für den Einsatz freier Software deren kostenlose Verfügbarkeit ist. Und darin ähneln sich freie Software und Freeware nun einmal wesentlich. Kostenlose Software ist für Schulen äusserst praktisch, denn in Zeiten von Sparmassnahmen und Haushaltssperren seitens der Träger leiden besonders die Schulen. Zusätzlich zur Tatsache, dass sie meistens kostenlos verfügbar ist, bietet freie Software aber noch viel mehr. Alle Möglichkeiten, Pflichten und Potenziale freier Software werden durch ihre jeweilige Lizenz definiert. Dabei spricht man von den vier Freiheiten: Nutzen, Teilen, Studieren, Verbessern. Aber welche davon sind eigentlich für die Schule relevant?
Vier Freiheiten für die Schule
Die freie Nutzung einer Software bezeichnet den Aspekt, dass die Software von jedem und für alles benutzt werden darf. Daneben ist freie Software sehr oft kostenlos, was aber nicht zwingend so sein muss. Dennoch ist dieser Punkt essentiell für die Schule. Es fallen keine Kosten an, wenn es darum geht, die Software auf einer grossen Anzahl an Computern zu installieren. Es ist auch unproblematisch, neue Software zu testen und diese bei Nichtgefallen wieder zu entfernen, da auch hier keine Kosten ausser der Arbeitszeit des jeweiligen Lehrers anfallen. Die freie Nutzung ist daher der entscheidende Faktor für die Schule bei der Wahl freier Software.
Beim freien Studieren sieht das anders aus. Während die freie Nutzung der Software allen Parteien der Schule zugute kommt, ist das freie Studieren auf den ersten Blick nur für Schüler und Lehrer des Informatikunterrichts relevant. Und auch bei diesen nur sehr eingeschränkt. An manchen Schulen existieren Computer-Arbeitsgemeinschaften, bei denen sich diese Tatsache wesentlich stärker auf die Arbeit auswirkt. Allerdings werden in diesen Arbeitsgemeinschaften kaum Änderungen an Programmen durchgeführt, die für die Schule selbst oder zumindest für den Unterricht relevant sind, wie beispielsweise an einem Webbrowser oder einem Office-Paket. Die direkten Vorteile scheinen also beim freien Studieren eher gering. Die indirekten hingegen sind deutlich grösser.
Durch die Möglichkeit, den Programmcode zu studieren, wird einerseits die Möglichkeit gegeben, autodidaktische Fähigkeiten zu befriedigen. Andererseits transportiert diese Tatsache eine der Schule von Anfang an innewohnende Botschaft: Sei transparent. Wissen soll nicht nur wiedergegeben, sondern verstanden werden. Dafür muss es transparent, also durchschaubar sein. Nutzt eine Schule freie Software, so kann sie diese Botschaft viel authentischer transportieren. Eine Schule, die in ihrem pädagogischen Profil stets auf Ideale wie Mitbestimmung, Transparenz und Gleichberechtigung verweist, aber durchweg IT-Strukturen nutzt, die diesen Idealen widersprechen, macht sich unglaubwürdig – häufig jedoch ohne es zu wissen.
Erhöhter Lernerfolg ohne Zusatzkosten
Dem freien Teilen kommt in der Schule eine besondere Stellung zu. Während man früher glaubte, dass alle Schüler mit den gleichen Voraussetzungen die Schule besuchen, weiss man mittlerweile, dass Homogenität in der Schule oder im Klassenverband eher Wunschdenken als Realität ist. Denn nicht jedes Elternhaus kann genug Geld für eine bestimmte Software ausgeben. Hier kommt das freie Teilen zum Tragen. Die Schule kann die genutzten Programme direkt an die Schüler weitergeben. Geld spielt so für den Lernerfolg der Schüler keine Rolle. Zudem können diese zu Hause mit der gleichen Software weiterlernen. Freie Software kann auf diese Art und Weise soziale wie auch didaktische Verbesserungen bewirken.
Die vierte Freiheit, das Verbessern der Software, ist die Fortsetzung der Freiheit, die Software zu studieren. Auch hier erschliessen sich die Vorteile nicht sofort, da sie vor allem indirekt wirken. Ein häufig angeführtes Argument folgt der Idee, dass durch den freien Zugriff aller Personen auf den Quellcode Sicherheitslücken schneller aufgespürt und beseitigt werden können. Davon würde auch die Schule profitieren. Gerade hier muss dem Datenschutz eine besondere Position eingeräumt werden, denn Schulen arbeiten mit vertraulichen Informationen, wie zum Beispiel Zensuren oder Informationen über eventuelle Lernbehinderungen.
Themen für Philosophie oder Sozialwissenschaft
Nahezu alle deutschen Bundesländer verfügen über schulische und ausserschulische Medienkonzepte, die den Begriff der Medienkompetenz enthalten. Hierbei geht es nicht nur um technisches Verständnis, sondern auch um Fragestellungen zur Entstehung und Nutzung von Medien (siehe «Medienkompetente Ausbildung? Nur auf Basis Freier Software», freiesMagazin 10/2010). Freie Software bietet eine hervorragende Möglichkeit, den Entstehungsprozess einer Software zu erläutern und, je nach Vorwissen der Lerngruppe und Komplexität des Programms, aktiv zu unterstützen oder zu begleiten. Eine Einbettung des Themas kann auch im Zusammenhang mit den Fächern Philosophie oder Sozialwissenschaft stattfinden und ist nicht nur auf den Informatikunterricht beschränkt. Die ideologisch-geschichtlichen Grundlagen freier Software bieten dafür genügend Material und Diskussionsstoff. Dabei gibt es keine Beschränkungen auf bestimmte Schulformen. Die Medienkonzepte der Länder existieren für alle allgemeinbildenden Schulformen.
Informatik-Zuständigkeit kann Ressourcen freiräumen
Bundesweit gibt es noch keine ausreichende Lösung für das Problem der Zuständigkeit der IT-Administration an Schulen (auch in der Schweiz nicht). Oft kümmern sich engagierte Lehrer um das Schulnetzwerk: So können sie zwei bis vier Stunden für die Pflege und Entwicklung der IT-Struktur nutzen. Diese Zeit ist vollkommen unzureichend, wenn man sich vor Augen hält, dass einige Schulen über mehr als 100 PCs verfügen. Ein professioneller Partner ist meist unumgänglich, durch den Einsatz freier Software könnten die nötigen Mittel verfügbar werden.
Fazit
Freie Software bietet in der Schule vielfältige Optionen, das IT-Konzept zu erweitern und die Strukturen transparenter zu gestalten. Sie ist kosteneffizient, sicher und kann helfen, soziale Benachteiligung als Entwicklungsfaktor von Schülern zu mindern. Sie ist damit weit mehr als eine Software-Alternative für besonders interessierte Lehrer und Schüler aus Informatikunterricht und Computer-AGs. Sie ist in der Lage, die Idee der Schule und ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags in den Schulalltag zu integrieren und kann helfen, Schule effizienter, freier und gerechter zu gestalten.
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