Stillstand im Informatikbereich?

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Gewisse Trends deuten auf eine Verlangsamung der Entwicklungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie. Könnten dadurch Produktivität und Wachstum der Unternehmen gebremst werden? Besteht darin eine Chance für weniger qualifizierte Personen, den Rückstand wieder gutzumachen?

Universitaetsbilbliothek TU Berlin

Die Dynamik des Fortschritts könnte verlangsamen und mehr Menschen die Chance geben, aufzuholen. (pd)

Seit fast einem halben Jahrhundert verändert die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien die Welt in der wir leben. Sie hat uns elektronische Spiele, Handys, GPS, Internet und viele andere Neuheiten gebracht. Sie hat den Unternehmen erlaubt, drastisch ihre Produktivität und Effizienz zu steigern, allerdings durch massiven Personalabbau und Ausschluss von denen, die sich mit diesen Änderungen nicht abfinden konnten. Sie hat aber auch neue Berufe und Geschäfte erzeugt, mit denen Viele ihr Leben verdienen.

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Ökonomist Feroli erkennt Chancen im langsameren Fortschritt. (pd)

Kommt diese Dynamik, dieses Zeitalter der Vitalität und Kreativität langsam zum Stillstand? Michael Feroli, Chief Economist für den US Markt bei JP Morgan Chase & Co, glaubt, Zeichen dafür entdeckt zu haben. In einem vor kurzem publizieren Bericht, der von vielen Medien kommentiert wurde, führt er auf, dass die Preise von Hardware und Software letztes Jahr die schwächste Abnahme seit einer Generation erfahren haben. Technischer Fortschritt und Preissenkungen waren in den letzten Jahrzehnten Haupttreiber von Produktivitätserhöhungen in allen Branchen der Wirtschaft. Eine Verlangsamung dieses Trends könnte also eine negative Wirkung auf die Wachstumsrate der ganzen Wirtschaft haben. Sie könnte aber möglicherweise denen, die von der rasanten technologischen Entwicklung auf der Seite gelassen wurden, eine Chance geben, ihren Rückstand aufzuholen. Man könnte davon vielleicht sogar, meint Feroli optimistisch, eine Wende der heutigen Trends in Sachen Personalabbau und Einkommensungleichheiten erhoffen.

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Modell-Zyklus dauert länger

Nehmen wir diese Argumentation noch einmal unter die Lupe. Aufgrund von amerikanischen Statistiken stellt Feroli fest, dass sowohl für Hardware wie für Software die Preissenkungen kleiner als früher sind. Preise sinken weniger, weil neue, leistungsfähigere und billigere Modelle weniger rasch auf den Markt kommen. Mit der Folge, dass Unternehmen ihre Systeme ebenfalls in grösseren Abständen erneuern werden und dadurch mögliche Effizienzerhöhungen zurückstellen. Produktionssteigerungen, sowohl in der Produktion wie in der Verwaltung, werden traditionell immer durch einen stärkeren Einsatz der Informatik, begleitet von Stellenabbau, erreicht. Eine Verlangsamung dieses Prozesses, meint Feroli, könnte demzufolge eine Chance für weniger qualifizierte Leute bilden.

Zeit für Pause?

Offensichtlich sind wir noch nicht ganz so weit. Dazu kommt noch, dass eine Verlangsamung oder sogar ein Ende der Preissenkungen, falls sich der Trend bestätigt, nicht unbedingt eine Abnahme der Investitionen der Firmen in IT-Technologie bedeuten muss. Die Grundaussage von Feroli scheint uns dennoch zutreffend: der geringere Preisabfall mag wohl bedeuten, dass die Technologie auf diesem Gebiet nicht mehr so rasch fortschreitet wie früher. In diesem Zusammenhang wird oft das Moor’sche Gesetz zitiert. Mitgründer von Intel Gordon Moore prophezeite 1965, dass sich die Anzahl Transistoren auf einem Chip alle zwei Jahre verdoppeln würde (und die Leistung in 18 Monaten). Dieses Gesetz ist ein halbes Jahrhundert lang gültig geblieben und ist es auch heute noch: die Anzahl Schaltelemente auf einem Chip wird noch lange exponentiell zunehmen.

Heutzutage werden aber in den meisten Fällen die Preise der Geräte nicht mehr vorwiegend durch die Preise der enthaltenen Chips bestimmt. Die Verkaufspreise sind bereits so tief, die Margen ebenfalls, dass sie schwerlich noch weiter senken können. Computer sind Alltagsgegenstände geworden. Im Geschäftsfeld ersetzen «virtualisierte» Server (mehrere Systeme laufen parallel auf einer Maschine) und Ressourcen auf dem Internet (genannt Cloud) Rechner, die in der Vergangenheit einer bestimmten Aufgabe dediziert waren. Insbesondere bewirkt die zunehmende Offerte von Ressourcen auf dem Internet, dass immer mehr Unternehmen sich auf Systeme verlassen, die von Providers in grossen Rechenzentren zur Verfügung gestellt und verwaltet werden, statt eine interne Anlage zu betreiben. Voraussagen sind immer riskant, dennoch ist es wahrscheinlich, dass sich die Hardware im Business-Bereich zukünftig nicht mehr so schnell entwickeln wird wie früher. Benutzer von Cloud-Ressourcen verlangen Leistung und interessieren sich wenig für die Maschinen, die dahinter stehen.

Spezialisierung der Software nimmt zu

Im Softwarebereich sind die Entwicklungskosten sehr hoch, die Margen ebenfalls. Softwarehersteller haben demzufolge überhaupt kein Interesse, ihre Produkte billig zu vermarkten. Obwohl für den Privatmarkt viele Anwendungen billig oder sogar gratis zur Verfügung stehen, werden die Unternehmen weiter viel Geld für Anwendungen, von denen ihre Produktivität abhängt oder die ihnen entscheidende Marktvorteile erbringen, ausgeben müssen. Insbesondere werden sie in allen Branchen in Zukunft teure spezialisierte Systeme einführen, wie zum Beispiel Vermögensverwaltungssoftware im Bankenbereich und Internet-Marketingtools im Vertrieb. Der Markt für solche Werkzeuge für hochspezialisierte Fachbearbeiter wird in Zukunft sicher stark zunehmen. Diese Tools werden zwar nicht, wie ERP-Systeme in der Vergangenheit, Massenentlassungen bewirken, dennoch werden sie weniger qualifizierte Mitarbeiter aus dem Geschäft bringen.

Weiter wachsende technische Anwendungen 

Der Bereich der technischen Anwendungen der Informatik wird hingegen sicher noch lange keine Verlangsamung erleben. In allen Bereichen ersetzen mikroprozessorbasierte Systeme traditionelle Bauweisen. Das Internet der Dinge wird langsam aber sicher Realität. Die Anwendungen sind unzählbar: intelligente Energieverteilungssysteme, Verwaltungs- und Steuerungssysteme für Verkehr und Transport, Smart Cities, Militär und Polizei, um nur wenige aufzuzählen. Auch in Zukunft wird hier das Moor’sche Gesetz für weitere andauernde Leistungserhöhungen, Preissenkungen und Miniaturisierung sorgen und den Fortschritt fördern. Leider wird aber dieser Fortschritt ebenfalls nicht, entgegen den Hoffnungen von Feroli, gering ausgebildeten Leuten helfen, auf dem Arbeitsmarkt ihren würdigen Platz zu finden.

(Jean-Luc Perrenoud)

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Jean-Luc Perrenoud
Jean-Luc Perrenoud promoviert 1968 in Kernphysik an der ETH, betreibt anschliessend Forschung und Lehre an der UCLA und am California Institute of Technology. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wechselt er zur Informatik als Leiter der Systemgruppe in zwei Unternehmen. Seit 1978 ist er selbständig erwerbend und auf Software-Entwicklung spezialisiert. Seine Kurse über Programmierungstechnologie, Datenbankdesign und Objektorientierung auf Französisch, Deutsch und Englisch organisiert er in ganz Europa und in den USA. Während mehrerer Jahre ist er Mitglied der SIZ-Prüfungskommission. Seit 1990 als Freelance IT-Journalist tätig.
Jean-Luc Perrenoud

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