Digitaler Klimaweg führt in wolkige Zukunft

Anzeige:

Mehr ICT allein führt nicht zu grünerem Planeten. Wie können wir die verändernde Macht von ICT für eine nachhaltigere Zukunft nutzen? An der ersten ICT4S-Konferenz vom 12.-16. Februar in Zürich war Cloud Computing ein Teil der Lösung. Insgesamt haben rund 360 Personen aus 49 Ländern an der Konferenz und dem Rahmenprogramm teilgenommen.

 ICT4S-3

Grosse Veränderungen brauchen grosse Führer, doch in einer vernetzten Welt geschehen grosse Veränderungen durch viele Charaktere, die gemeinsam grosses Vollbringen. Ein solcher Moment ist in der dritte Februar-Woche in Zürich geschehen an der ersten internationalen Konferenz «ICT for Sustainability» (ICT4S) mit über 360 Teilnehmern aus allen Kontinenten. Zum ersten einer jährlichen Reihe von Konferenzen trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Räumen der ETH Zürich. 2014 wird die nächste Konferenz in Stockholm stattfinden. Den Planeten retten zu wollen, ist als wichtiger Aspekt der ICT anerkannt, wenn nicht der wichtigste der gesamten Menschheit. Dies unterstrich die Anwesenheit von Teilnehmern aller Disziplinen, auch solche, die nicht direkt oder indirekt mit ICT-Herstellern zu tun haben, sondern beispielsweise Anwender in Transport- und Umweltbereichen sind.

Die Idee ging von Bernhard Aebischer aus; dem Green-ICT-Pionier und ehemaligen Senior Researcher am «Centre for Energy Policy and Economics» der ETH. Aebischer untersuchte in seiner Karriere die Themen Energie, Nachhaltigkeit sowie Informationstechnologie und Telekommunikation (ICT). «Noch nie zuvor wurde das Zusammenwirken von ICT und Nachhaltigkeit umfassender diskutiert», sagte Lorenz Hilty, der General Chair der Konferenz, gegenüber Greenbyte.ch. Er wurde von Aebischer mit der Idee zur ICT4S konfrontiert und war «sofort begeistert». Hilty ist Professor an der Universität Zürich (Informatics and Sustainability Research Group), Head of the Informatics and Sustainability Research Group (Technology and Society Lab) an der Empa und Affiliate Professor an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) Stockholm (Centre for Sustainable Communications).

Anzeige:

Multi-Organisation der Schweizer Wissenschaft

Organisiert wurde die erste ICT4S-Konferenz vom Institut für Informatik der Universität Zürich, dem «Energy Science Center» der ETH Zürich und der Abteilung Technologie und Gesellschaft der Empa. Eine Jury wählte die «Best Papers», «Best Posters» und die Teilnehmer das beste Projekt des Green Hackathon. Das Rahmenprogramm enthielt neben dem praktischen Hacking auch Veranstaltungen von internationalen Organisationen wie die International Federation for Information Processing (IFPI), die International Telecommunication Union (ITU) und das World Resources Forum (WRF) sowie die Global e-Sustainability Initiative (GeSI). Als Sponsoren traten auf: Google, Swisscom und die Schweizer Informatikgesellschaft. Die Fachgruppe Green IT der Schweizer Informatikgesellschaft führte einen Crash Course Green IT und einen Workshop zur ICT-Nachhaltigkeit in Unternehmen durch.

Mehr ICT allein führt nicht zu grünerem Planeten

Schrottplätze wie in Ghana verdeutlichen die grössten Umweltschäden der Digitalisierung und ICT. (Empa)

Ericsson Research stellte eine wissenschaftliche Arbeit vor Treibhausgas-Ausstoss der ICT vor. Sie beziffert den Treibhausgas-Ausstoss der ICT auf 4 Prozent. «Der Fortschritt in der ICT führt die Gesellschaft nicht automatisch in eine nachhaltige Zukunft. ICT kann aber dazu genutzt werden», sagte Hilty. Die restlichen 96 Prozent der weltweiten Treibhausgase können mit ICT reduziert werden. «Wir müssen Strukturen schaffen, die das Zusammenspiel von Informationsverarbeitung, Mobilität und Versorgung mit Gütern und Energie ganzheitlich neu lösen», sagte Hilty.

Die Teilnehmer kamen vorwiegend aus dem akademischen Umfeld, um aktuelle Forschung zu diskutieren. «Es sind Geistes- und Sozialwissenschaftler vertreten. Denn es wäre naiv zu glauben, dass man allein durch technische Massnahmen der Nachhaltigkeit näher kommt. Es ist nie das technische System allein, das etwas bewirkt. Es sind immer die Menschen, die es nutzen», sagte Hitly. 

Vielfalt der Green ICT trifft in Zürich zusammen 

Die Vielfalt unter den Teilnehmern und somit der gezielt ermöglichte Erfahrungsaustausch erreichte eine anregende Atmosphäre für Gespräche zum Thema: Wie trägt der Fortschritt zur Rettung des Planeten bei? Der englische Facilitator Peter Woodward führte das Programm witzig und bestimmt durch die Konferenztage. Man hätte sich schon ziemlich anstrengen müssen, nicht zum Gespräch mit unbekannten Personen verführt zu werden. 

ICT4S-Teilnehmer 2

Teilnehmer des GeSI-WRF-Workshops. (WRF)

Ein spürbar positiver Aspekt war das Unausgesprochene: Die Einigkeit, dass alle Menschen, Unternehmen und Forscher zuerst selbst gefordert sind. Es gehörte für Mattias Höjer, den CESC-Direktor und Professor der Königlich Technischen Hochschule (KTH) Stockholm mit einigen KTH-Gefährtinnen und Gefährten zum guten Ton, die 21 Stunden von Stockholm nach Zürich per Bahn zu reisen – eine schwangere Forscherin ausgenommen. Rund ein Viertel der Teilnehmer hat den weiten Weg von einem der weiteren vier Kontinente auf sich genommen. Einzelne Männer und Frauen kamen aus Afrika, Korea, Taiwan, Japan und Australien. Auch die Geschlechterverteilung war für ICT untypisch ebenso ausgeglichen wie die Themen und die Herkunft der Teilnehmer. Der Praxisbezug war allein schon zur Verständigung vorherrschend. Somit stand einem guten Gelingen mit einem maximalen Beitrag für die Gesellschaft nichts mehr im Weg: Die Erwartungen wurden erfüllt.

Weltweiter Marktstein: IKRK, WWF und ICT4S

Shakila Umair vom KTH Stockholm präsentierte eine schockierende Studie über Pakistans E-Waste. (Bernhard Huber)

«Nach zwei Jahrzehnten in der Forschung zu ICT und Nachhaltigkeit bin ich sehr stolz, diesen Anlass hier in Zürich durchzuführen», sagte Hilty. Er hat den Ort gut gewählt. Weltkonzerne des digitalen Wandels wie IBM, Disney und Google haben in Zürich ihre ersten ausländischen Forschungszentren errichtet – wohl nicht allein zum Wohle des Planeten. Die Kombination von Moderne und der erhaltenen Natur an vielen Orten der Schweiz ist selbst für Wissenschafter rund um den Globus ein Grund, hier ihr Leben und ihre Arbeit fortzuführen. In der Schweiz wurde das Internationale Rote Kreuz und der WWF als World Wildlife Fund gegründet. Könnte es gar allein an der Grösse des Landes liegen, dass Apple, Google und Greenpeace nicht hier gegründet wurden? Doch obwohl der Fellow und Infrastrukturchef von Google mit ETH-Absolvent Urs Hölzle aus der Schweiz stammt, kommt die Vorstellung von Zürich als eine Art Silicon Valley reichlich visionär und längst zu spät. Hölzle brachte dies vor 5 Jahren anlässlich der Eröffnung des Jahrs der Informatik zur Sprache in seiner Keynote, als auch Microsoft Research noch in Zürich war.  

In Zürich wurde nun im Februar 2013 ein wichtiger Markstein gesetzt, um international den Nutzen der Errungenschaften von ICT zu fördern und um das Leben auf dem Planeten zu erhalten. Insofern wurde «eZürich», zumindest im Swiss Workshop als Schweizer Leuchtturm-Projekt am Beispiel für Open Data, von unserer Seite ebenso vermisst wie die engere Vernetzung mit der Industrie mit mehr weltweiter Namen der ICT, die aktiv für die Rettung des Planeten auftreten. Obwohl die GeSI eine Initiate aus der Industrie ist, und gemeinsam mit HP einen Workshop organisierte, war dies doch eine Ausnahme, die nur im Rahmenprogramm stattfand. Es wurden allerdings auch einige Forschungsresultate von Ericsson und Microsoft im Programm vorgetragen. Bezüglich Open Data wurden konkrete Praxisbeispiele und Resultate am ersten Tag mit dem Green Hackathon sichtbar (mehr im letzten Abschnitt).

Konferenz bildet aktuelle Anforderungen an Informatik ab

ICT4S-WordCloud

Dem Urknall ähnlich explodiert das Programm der ICT4S-Konferenz in einer Wortwolke. (pd)

Mit Swissgrid-CEO Pierre-Alain Graf eröffnete ein Schweizer Wirtschaftsvertreter die Vortragsreihen. Die Wirtschaftlichkeit und unternehmerischen Chancen von ICT für einen grüneren Planeten waren in den Fragen und Antworten der wissenschaftlichen Vorträge und danach eindeutig herauszuspüren. Der schiere Umfang der diskutierten Themen an der Konferenz bildete die ganzheitliche Anforderungen an die heutige Informatik ab, um den Planeten lebenswert zu erhalten.

Die Organisatoren des Anlasses erbrachte ein Resultat für alle: eine Liste von Empfehlungen, die sich aus den insgesamt 46 präsentierten Forschungsarbeiten und den Diskussionen auf der Konferenz ableiten. Die finale Veröffentlichung steht noch bevor. Zusammenfassend wurden diese Anforderungen in drei Teile gesplittet: Nachhaltigkeit in ICT (A), durch ICT (B) und übergeordnete Aspekte (C). Der grösste bisher unbeachtete Missstand betreffend Energieverbrauch der ICT erklärte Lorenz Hilty an der Plenardiskussion: «Software-Ingenieure haben eine Menge Anforderungen zu erfüllen. Der Energieverbrauch von Software ist die geringste unter allen.» Es kam vor wie ein Wink an den grossen Abwesenden Niklaus Wirth, den Pascal-Erfinder und einzigen deutschsprachigen Gewinner des IEEE Pioneer Award, der den Aufbau des Informatikdepartements an der ETH und dessen Software-Lehre genauso mitprägte wie weltweit den effizienten Umgang von Software mit Hardware-Ressourcen.

Cloud Computing spart tonnenweise CO2

ICT4S-Panel-1

Paneldiskussion (v.l.): Moderator Peter Woodward, Diane Whitehouse von IFIP, Anna Bondesson von Ericsson Research, KTH-CESC-Direktor Mattias Höjer und Lorenz Hilty, ICT4S General Chair, (mro)

«Big Brother spart eine Menge Energie», sagte Hilty an der Plenardiskussion zu den grössten unbeachteten Missständen – der Hinderungsgrund zur weiteren Adoption seien bisher Sicherheit und Privatsphäre. Daniel Williams von der Universität von Reading erklärte, wie grün die Cloud ist. In seinem Modell sei das Auslagern von Rechenleistung erst grüner als lokale Server, wenn ein Anteil am Unternehmensmarkt von 50 Prozent erreicht sei. Er errechnete exemplarisch die Treibhausgas-Einsparungen bei einer 80 Prozent Adoptionsrate von Cloud Computing (mit einem PUE-Wert von 1,2) in 11 Ländern, darunter China, Deutschland und Grossbritannien. Dies würde pro Jahr 4,5 Tonnen CO2 einsparen. Dazu müssen die kleinen und mittleren Unternehmen dafür begeistert werden. Ansonsten bewirke die Investition in den Bau von Rechenzentren und Servern mit zuwenig Auslastung das genaue Gegenteil – dann wären lokal betriebene Server in einer privaten Cloud besser für das Klima.

Spannung im Smart Grid

Den Eröffnungsvortrag hielt Swissgrid-CEO Pierre-Alain Graf zur Bindung von ICT und Stromnetzen. Der ehemalige General Manager von Cisco Schweiz lobte die Schweiz als ein Land von nachhaltigen Stromproduzenten. Strom und Heizungen waren 2010 für 41 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstosses verantwortlich. Doch sowohl der Stromkonsum wie auch Energiekonsum aus Erdöl und Gas steigt bisher an – in der Schweiz wie in Europa und der ganzen Welt. Dies fordere den Netzverwaltern mehr Investitionen ab: Im europäischen Winter fordert heute schon jedes Minusgrad 100 Megawatt mehr Stromleistung in Europas Übertragungsnetz. Um die nötige Stabilität aufrecht zu erhalten, damit die Spannung bleibt und der Strom fliesst, ist schon längst von ICT unterstützt. Laut Graf erfordere ein Smart Grid aber weitere Investitionen von 500 bis 1000 Millionen Franken in den Ausbau des Schweizer Übertragungsnetzes. 

Unternehmer Rainer Bacher, der europaweit tätig ist als Stromexperte und Netzberater, hielt einem detaillierten Vortrag zum Einsatz von ICT für ein nachhaltiges und sicheres Energieverteilsystem. Die kleinen Netze von hunderten lokalen Energieversorgern in der Schweiz (als Beispiel), sind wegen ihrem Aufbau um ein vielfaches schwieriger zu modernisieren für Wind- und Sonnenenergie, weil die Spannung dort meist ringförmig verläuft, in Zukunft und mit mehr Photovoltaik aber ein spinnenartiges Netzmanagement nötig sei. Wie Anton Gunzinger im energiegeladenen Swiss Workshop (des Bundesamts für Kommunikation und des Bundesamts für Raumentwicklung)  präsentierte, könnte das Schweizer Netz (erneut als Beispiel) die Energiewende fast komplett ohne Netzausbauten verkraften. Der ETH-Professor und Gründer von Supercomputing Systems liess in umfassenden Simulationen eine Reihe möglichst realistischer Szenarien berechnen. Das Produktionswachstum von Wind und Photovoltaik könne fast gänzlich mit ICT als Lastmanagement ausgeglichen werden, in dem die durchschnittlich genutzten Netz-Kapazitäten von rund 15 Prozent auf 85 Prozent gesteigert werden.

Klimatag der Hacker

Green Hackathon Zuerich 2 - Bernhard Huber

Diego Steiner und Lukas Elmer (vorne, v.l.) gewannen den Green Hackathon in Zuerich. (Bernhard Huber)

Das Engagement und die Resultate des Green Hackathon zu Beginn aller Veranstaltungen inspirierten alle Konferenz-Teilnehmenden zum Austausch und weiteren Aktionen die ganze Woche hindurch. Als Resultat des zwölfstündigen Green Hackathon hat auch Greenbyte.ch mitgewirkt. Eine Schweizer Gemeindekarte mit dem Energiemix der Energieversorger, farblich dargestellt wird der Anteil an Nuklearkraft jeder Gemeinde, es lassen sich per Klick aber auch die Gesamtdaten einnsehen. Die Daten wurden von Stromerkennung.ch ausgelesen (per web scraping) und mit den GIS-Daten der Gemeindegrenzen (Open Data vom Bundesamt für Statistik) kombiniert. Link: http://greenbyte.ch/kernenergie-karte-der-schweizer-gemeinden/

Die Gewinner des Green Hackathon in Zürich waren Lukas Elmer und Diego Steiner des Startups Renuo, die mit einer neuen HTML5-Funktion zum Auslesen der Batteriedaten ein Firefox-Plugin programmierten, um Webseiten bei tiefem Akkustand abzudunkeln. Die Gewinner erhielten einen Amazon Kindle E-Reader, gesponsort von der KTH, weitere Preise für alle Hacker wie Reiseakkus wurden von Google vergeben.

(Marco Rohner)

The following two tabs change content below.
Marco Rohner
Journalistischer Unternehmer der neu erfindet, wie Geschichten in einer allzeit verbundenen Welt erzählt werden. Er ist Herausgeber von Greenbyte.ch, dem weltweit exklusiven Online-Magazin über den nachhaltigen Nutzen von Informationstechnologie, gegründet im Jahr 2011 und 500'000 Leser in den ersten drei Jahren erreicht.