Der Smart Grid Summit im Rahmen der Cebit Global Conferences 2012 in Hannover hat die Chancen und Herausforderungen Deutschlands thematisiert. Die Energiewende war allgegenwärtig. Der Übergang zu einem Smart Grid ist dazu essentiell. Unter dem Titel «Smart Grids – Chancen für den Standort Deutschland» hat eine hochkarätige Podiumsdiskussion aus Wirtschaftsvertretern von Eon, Intel und ABB für einen offenen Markt und einen neuen Exportschlager plädiert.
Der Smart Grid Summit wurde gemeinschaftlich organisiert vom ICT-Zentralverband Bitkom und ZVEI, dem Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektro-Industrie. Zuhörer aus Wirtschaft, Politik und Interessierten aus aller Welt traffen im Rahmen der Cebit 2012 zusammen.
Die Geschwindigkeit der deutschen Energiewende ist weltweit einzigartig. Innert 10 Jahren soll der Anteil von Atomkraft am Strommix von über 20 Prozent komplett abgebaut werden. «Ein Tag ohne Strom kostet Deutschland 1,3 Milliarden Euro», sagte ZVEI-Präsident Friedhelm Loh. Ein Stomausfall solchen Ausmasses entspreche 0,7 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts.
Europa führt Smart-Grid-Entwicklung an
«Smart Grid ist beschlossene Sache, aber wie wir dahin kommen, ist eine offene Frage», sagte Intel-Deutschland-CEO Hannes Schwaderer. Er ist gleichzeitig als EMEA Energy Sector Director für Intels europaweite Smart-Grid-Entwicklung zuständig. Für Intel sind die Netze ein wichtiges Feld, weil sie mehr Informationstechnologie erfordern, um die nötige Verteilung und Kapazität zu garantieren. Europa sei konzernweit führend in der intelligenten Energieverteilung.
Die Unternehmen der Informationstechnologie sind schnelle Zyklen gewohnt. «Wir planen unterdessen in Zyklen von einem Jahr», sagte Schwaderer. «Die Erfahrung mit schnellen Zyklen muss zum Gesamtkonzept werden für die Energiewende, wir brauchen eine Roadmap», plädiert Loh. Smart Grid sei grundsätzlich machbar, fast alle Technologien seien vorhanden. «Nun muss die Politik endlich den Rahmen definieren», unterstrich Loh mit dem Hinweis auf 850’000 Beschäftigte allein in der Elektroindustrie.
«Wir sind bereits in Pilot-Projekten», sagte Peter Terwiesch, CEO von ABB Deutschland und Regional Manager Central Europe. Smart Grid sei keine Frage der Technik, sondern eine Frage der regulatorischen Rahmenbedingungen und des politischen Willens. Doch genau das Thema Regulation stösst in der Podiumsdiskussion der Vertreter Eon, Intel und ABB auf widersprüchliche Reaktionen. Einerseit plädieren die Wirtschaftsvertreter für mehr Vorgaben der Politik, wischten aber jeglichen Hinweise auf einen Eingriff der Regierung als unwillkommene Planwirtschaft vom Tisch. Sie nutzten den Ausdruck Planwirtschaft mehrmals.
Weltmarktführer Deutschland bei neuen Energien
Deutschland ist mit dem hohen Anteil an erneuerbaren Energien in einer vorteilhaften Lage, um eine führende Rolle bei Smart Grids zu erobern. Elektro-Industrie und Informationstechnologie sind stark präsent. Die Hälfte der weltweit installierten Photovoltaik-Kapazität ist in Deutschland. 880’000 Photovoltaik-Anlagen produzierten 2010 rund 11’500 Gigawattstunden Strom. Allein im Bundesland Bayern ist mehr Photovoltaik in Betrieb als in den gesamten USA – der weltweit grössten Volkswirtschaft. Doch China holt auf: in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt wird stündlich eine neue Windturbine aufgebaut.
Doch bisher ist Deutschlands erneuerbare Energieproduktion noch weltweit führend mit den höchsten Anteil am Strommix: 20 Prozent der deutschen Energieproduktion stammt aus neuen erneuerbaren Energien wie Biomasse, Photovoltaik, Windenergie. Aus Biomasse wurden 2010 33’500 Gigawattstunden Strom erzeugt. Bis 2020 werden es rund 50’000 Gigawattstunden sein.
Auch zum Speichern von Energie sind Varianten vorhanden. «Wasser ist doppelt so billig zum Energiespeichern als alles andere», so Terweisch. 10 Pumpspeicher-Kraftwerke sind heute mit insgesamt 10 Gigawatt Leistung am Netz. Bis 2020 wird die Leistung auf 13 Gigawatt steigen. Für Deutschland relevanter ist eine andere Speicher-Alternative: «Windenergie lässt sich direkt in Wasserstoff umwandeln. Wasserstoff können wir direkt ins Gasnetz einspeisen, bis fast 50 Prozent Anteil, ohne dass bei den Abnehmern irgend etwas angepasst werden müsste», sagte Urban Keussen, Senior Vice President Technology and Innovation von Eon.
Höhere Netztarife werden kommen
Eon erwartet in Zukunft tendenziell höhere Netztarife wegen des steigenden Bedarfs an Informationstechnologie und wegen des Ausbaus der Netze. Bis 2015 werden 400 Kilometer verstärkt und 850 Kilometer neu gebaut. «Wir müssen das Netz dorthin bringen, wo die neuen Kraftwerke stehen», so Keussen. Beispiele sind die Offshore-Windanlagen wie «Borkum Riffgrund 1», mehr Biomasse- und Photovoltaik-Anlagen, sowie Gas- und Kohlekraftwerke, die bereits gebaut werden.
Neue Gas- und Kohlekraftwerke seien in Deutschland nötig. Bis 2022 brauche es 17 Gigawatt zusätzliche Leistung. Der Anteil fossiler Energieträger nimmt jedoch von 2008 bis 2030 ab: von 350’000 Gigawattstunden (über die Hälfte am Strommix) auf 160’000 (rund ein Drittel). Der Aufbau eines Smart Grids eröffnet Volkswirtschaften attraktive Möglichkeiten. Sie werden von teurer werdenden fossilen Energieträgern unabhängiger, und können die neuen Technologien auch in andere Regionen exportiern. Deutschland habe laut Schwaderer keine Wahl: Entweder werde es mit der Energiewende zum Spott der Welt oder es entstehe ein Exportschlager.
(Marco Rohner, Hannover)
Weitere Themen:
Neueste Artikel von Marco Rohner (alle ansehen)
- Bund beschafft freihändig 49 Mio. Franken Auftrag von Oracle - 24. November 2016
- Ubuntu und Kubuntu 16.04 LTS im Test - 21. Oktober 2016
- Labdoo.org gewinnt Lenovo Schweiz - 4. Juli 2016