Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Sicherheit

Anzeige:

Zugeknöpft oder mit offenem Hemd? That is the question. Was verbleibt von der Privatsphäre im Zeitalter von Google, Facebook und Co?

Das oh so aktuelle und emotionelle Thema vom Schutz unserer Daten und Privatsphäre war Thema des diesjährigen Mediengesprächs der IBM in der Kartause Ittingen im Thurgau. Von den vier Referenten sprachen drei von den Gefahren, denen man im Zeitalter der Sozialmedien ausgesetzt ist, und was man dagegen tun sollte, beziehungsweise tun kann. Der Vierte hingegen vertrat die Meinung, ohne Privatsphäre lässt sich ganz offen und auch gut leben.

Anzeige:

Miriam Meckel, Professorin an der Uni Sankt Gallen, stellte die Frage: Wie transparent wollen wir im Internet wirklich sein? Anhänger von Wikileaks sind der Meinung, Transparenz fördere die Demokratie und führe zu einer besseren Gesellschaft. Dennoch gibt es ohne Privatheit keine Freiheit. Totale Transparenz führt zu totalem Mainstream. Jetzt schon sind die Resultate von Suchanfragen von unserem bisherigen Suchverhalten abhängig. Führt das nicht dazu, dass wir schlussendlich nur die Resultate erhalten, die unserem Ego entsprechen, dass wir uns in einem Informationstunnel, in einer Echokammer befinden? Die Schnittstelle zum Internet kommt immer näher an den Mensch. Eine Welt wo jeder nur die Wahrheit und die ganze Wahrheit sagt ist nicht zu ertragen. Totale Transparenz macht uns zu Maschinen. Total transparent ist nur das Leer. Stellen wir uns also die Frage: «Was will ich nicht?» Denken ist immer noch nicht illegal!

Der perfekte Datenschutz

Sicherheit  und Privatsphäre werden bei der Internet-Gefahrenüberwachung anders gewichtet als bei Gesundheitsdaten. (pd)

«Computer vergessen nicht, oder nur sehr, sehr langsam», meinte Günter Karjoth vom IBM Forschungslabor in Rüschlikon. Wir hinterlassen Spuren, viele Spuren, werden immer mehr überwacht, von Sensoren, von anderen, von uns selbst. Wie sicher sind die Daten, die wir anderen anvertrauen? Clouds bieten uns eine quasi unendliche Speicherkapazität an. Was riskiere ich aber, wenn ich Daten auf demselben Cloud wie meine Konkurrenten speichere? Wir brauchen Werkzeuge, um uns in der Cloud vor anderen Mietern zu schützen. Und einen digitalen Radiergummi, mit dem wir Daten wirklich löschen können. Bleiben «anonymisierte» Daten wirklich anonym? Es ist jetzt schon möglich, aus Daten, die nicht mit dem Namen verknüpft sind, personenbezogene Daten zu generieren. Anonymität ist nicht schwarz oder weiss, es existiert sogar ein Mass für die «Qualität» der Anonymisierung. Und es gibt Methoden zur sicheren Authentifizierung ohne Preisgabe der Identität, z.B. dass jemand über 18 ist und demzufolge Alkohol kaufen darf. Das Verwürfeln (scrambling) von Texten in Facebook und Twitter sichert, dass der Text nur von den gewünschten Zielpersonen gelesen werden kann. Karjoth schliesst mit einer interessanten Frage ab: «Patientendaten sollen wohl geschützt bleiben. Nehmen wir aber an, es werde ein neues Heilverfahren für eine bestimmte Krebsart entdeckt. Sollte es dann nicht möglich sein, alle Personen aufzufinden, die an dieser Krankheit leiden? Braucht das perfekte Datenschutzsystem doch eine Hintertür?»

Gesetz und Realität

Datenschutz sieht Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit gestört. (pd)

Hanspeter Thür ist Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (EDÖB). Wer besser als er, hätte zu diesem Thema referieren können? Alles was digitalisiert wird, wird einmal allen verfügbar sein. Man erwartet von Geschäftsmodellen, Verwaltungen, Nutzern, Technologien, dass sie transparent sind, Transparenz schaffen. Wo bleibt aber in dieser Agenda der Schutz der Privatsphäre? Nachdem er die rechtlichen Aspekte zum Schutz der Privatsphäre aufgezählt hatte, beschritt Thür, mehrere Autoren zitierend, das Gebiet der Ethik und der Philosophie. Stehe ich zu dem, was ich bin, was ich tue? Zwei oder mehr Identitäten zu haben beweist einen Mangel an Integrität (Zuckerberg). Wer etwas zu verstecken hat, ist nicht ehrlich. Wenn Sie nicht wollen, dass jemand erfährt, dass sie etwas tun, tun Sie es doch nicht (Eric Schmidt von Google). Bei Facebook, z.B., liefert der Nutzer ja selber die Informationen über sich selbst, nur ist er sich nicht bewusst, wer diese Daten sehen kann, besonders da die Geschäftsbedingungen laufend geändert werden. Bei vielen Geschäftsprozessen wird versucht, die Privatsphäre zu öffnen: Anstellungen, Abschlüsse von Versicherungen, Vermietungen, Marketing. Und die Technologien helfen dabei: Überwachungssysteme, mobile Telefonie, Identifikation durch RFID, Lokalisierung durch GPS (Geo-Slavery?), Soziale Netzwerke, Data Mining. Das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit ist gestört. «Ist der Begriff der Privatsphäre heute überhaupt noch zeitgemäss?», bedauert abschliessend Hanspeter Thür.

Wenn schon, dann total offen

Arbeitsnehmer und Arbeitgeber teilen vermehrt ihre persönlichen Daten. (pd)

Eine total entgegengesetzte Meinung vertrat Christian Heller, deutscher Autor und Anhänger der sogenannten Post-Privacy-Bewegung. «Die Privatsphäre ist ein Auslaufmodell, die Schutzmauern werden immer poröser, auf dem Gebiet des Datenschutzes herrscht Anarchie.» Modell der Privatsphäre ist die bürgerliche Familie der Vergangenheit. Im 20. Jahrhundert haben Totalitarismen und Emanzipationsbewegungen (Frauen, Jugendliche, sexuelle Minderheiten) dieses Modell stark angegriffen. Die Tendenz geht weiter und vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Anhänger der Post-Privacy-Bewegung meinen, total offen ist besser. Christian Heller, zum Beispiel, will auf seiner Website totale Transparenz über sich selbst schaffen: was er tut, wie er sich fühlt, was er ausgibt, usw. Ausnahmen gibt es nur in extremen Fällen. Problematisch ist dabei, dass automatisch andere Personen mit einbezogen werden. Auch, dass damit dem Staat, Feinden, Nachbarn Waffen gegen sich selbst geliefert werden. Aber wenn das Alle täten, lebten wir in einer toleranteren Welt, mit Überwachungsgleichheit, wo auch die Überwacher überwacht werden. Neue Gesellschaftsmodelle sind notwendig, sind am entstehen. «Aber man muss nicht unbedingt für noch mehr Post-Privacy kämpfen», meint Christian Heller doch.

(Jean-Luc Perrenoud)

The following two tabs change content below.
Jean-Luc Perrenoud
Jean-Luc Perrenoud promoviert 1968 in Kernphysik an der ETH, betreibt anschliessend Forschung und Lehre an der UCLA und am California Institute of Technology. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wechselt er zur Informatik als Leiter der Systemgruppe in zwei Unternehmen. Seit 1978 ist er selbständig erwerbend und auf Software-Entwicklung spezialisiert. Seine Kurse über Programmierungstechnologie, Datenbankdesign und Objektorientierung auf Französisch, Deutsch und Englisch organisiert er in ganz Europa und in den USA. Während mehrerer Jahre ist er Mitglied der SIZ-Prüfungskommission. Seit 1990 als Freelance IT-Journalist tätig.
Jean-Luc Perrenoud

Neueste Artikel von Jean-Luc Perrenoud (alle ansehen)