In der französischsprachigen Welt ist Unabhängigkeit von amerikanischen Informatik-Anbietern bereits Routine. Diesen Eindruck erwecken zwei neue Verträge des französischen IT-Dienstleisters Atos. Airbus will die eigenen Datenbestände wirksamer nutzen und die Zusammenarbeit vereinfachen. Givaudan lagert gleich die ganze IT für 5 Jahre und 50 Millionen Franken aus.
Der europäische Flugzeughersteller Airbus will die Systeme des «Enterprise Content Managements» (ECM) zusammenführen. Diese Aufgabe geht für fünf Jahre an Atos. «Wir sind sehr stolz darauf, dass Airbus uns ausgewählt hat, ihr Daten-Management zu optimieren», liess sich Jean-Marie Simon, CEO von Atos Frankreich, in einer Medienmitteilung zitieren. Der EADS-CIO Guss Dekkers hat unlängst in der «Computerwoche» erklärt, dass er, trotz der hohen Sicherheitsanforderungen an die Systeme, eigentlich nur drei strategische Aufgaben innerhalb der Airbus-IT belassen wolle: die Definition der Architektur, das Projekt-Management und das Service-Management. Alle anderen Leistungen werden weitgehend von Dritten bezogen. Wie nun auch das ECM. Die Arbeitshilfen von 59’000 Mitarbeitenden weltweit werden mit dem System von Atos zusammen geführt.
Logische Partnerschaft betreffend Datensicherheit
Es ist eine Partnerschaft unter europäischen Unternehmen, die ihre Wurzeln stark in Deutschland und Frankreich haben. Beide haben dem Hauptsitz heute in Frankreich. Airbus ist als Flugzeug-Hersteller und Tochter des europäischen Luft- und Raumfahrt-Konsortiums EADS im Einflussbereich der hauptbeteiligten Staaten Frankreich und Deutschland. Atos ging 2011 aus der Übernahme von Siemens IT Solutions and Services durch Atos Origin hervor. Teilweise ist Airbus der staatlichen Kontrolle unterworfen, wie beispielsweise in Deutschland dem Bundesverteidigungsministerium und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Es ist deshalb logisch, dass Airbus auch einen europäischen IT-Dienstleister wählt – als ambitionierter Militärausrüster mit dem brandneuen Militärtransporter A400M. Der erste A400M ist am 30. September an die französische Luftwaffe geliefert worden.
Atos betreut wichtigen Teil der Airbus-IT
Der Vertrag zwischen dem Flugzeughersteller und Atos erstreckt sich auf einen laut Airbus äusserst bedeutsamen Bestandteil des eigenen Informationssystems. Es bildet die Grundlage für zahlreiche interne und externe Geschäftsprozesse mit Kunden und Lieferanten. Der grösste Airbus-Kunde ist Lufthansa. Um die Geschäftsprozesse und IT-Lösungen effektiver zu gestalten, will Airbus die ECM-Anwendungen in einem einheitlichen, konzernweiten System zusammenführen. Dies optimiert den Wert der Daten, indem es die Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung von Inhalten fördert. Zudem sinken die Kosten infolge vereinfachter Support- und Wartungsstrukturen.
Die Teams von Atos entwickeln, verwalten und transformieren fast die gesamten ECM-Systeme an fünf Standorten von Airbus in Toulouse, Hamburg, Madrid, Sevilla und Pune. Sie waren laut Atos bereits mit einigen Industrieprojekten in der Luft- und Raumfahrt-, Eisenbahn- und Automobilbranche sowie im Sektor Energie beschäftigt.
Zusammenarbeit wird vereinfacht
Trotzdem die Entwicklung und der Bau von Flugzeugen eine mehrjährige Zusammenarbeit erfordert zwischen Personen aus verschiedenen Unternehmen, Professionen und Nationalitäten, hat Airbus bisher offenbar das Wissen und die Dokumente elektronisch auf verschiedenen Systemen unterhalten. Bis ein Flugzeug fliegt, werden Daten in beträchtlichem Umfang erstellt, recherchiert, ausgetauscht, verwaltet und aufbewahrt. Eine weitere Meisterleistung, dass ein geografisch nochmals verteiltes Mammutprojekt wie der A380, das grösste Passagierflugzeug der Welt, so überhaupt zum fliegen kommt. Wieviel dieses Potential Airbus wert ist, respektive der finanzielle Umfang dieses fünfjährigen Grossprojekts, bleibt bisher geheim.
Givaudan lagert IT an Atos aus
Anders als die Franzosen mit ihrem Militär und deren Staatsgeheimnissen ist Atos Schweiz transparenter in einem Grossauftrag mit einem Unternehmen im bedeutendsten Aktienindex der Schweiz, dem Swiss Market Index. Givaudan, der weltweit grösste Anbieter von Aromen und Duftstoffen, hat mit Atos im Sommer ein Abkommen über Outsourcing-Leistungen unterzeichnet. Der Vertrag dauert fünf Jahre, mit Leistungen im Wert von mehr als 50 Millionen Franken. «Dank dem Vertrag mit Givaudan können wir unsere Präsenz in der Westschweiz deutlich ausbauen», sagt Walter Kägi, CEO von Atos Schweiz. Givaudan hat den Hauptsitz Vernier (GE). Das Unternehmen beschäftigt 9’124 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (2012) an 81 Orten in 40 Ländern, davon sind 13 Entwicklungszenter für Duftstoffe, 26 für Aromen und 33 Produktionsstandorte. Dass Givaudon offenbar Anbieter ohne US-Hauptsitz bevorzugt, zeigt auch, dass sie Kunde von Orange Business Services sind.
Der Vertrag mit Atos umfasst die Übernahme der IT von Givaudan. Die Service-Zentren von Atos in der Schweiz, Frankreich und das Nearshore-Center in Polen werden dies übernehmen – unter Einhaltung fest vereinbarter Resultate. «Unsere Führungsposition auszubauen, bedeutet für uns, zu einem perfekten Einklang von Natur und Kreativität, Wissenschaft und Technik und wirtschaftlichem Handeln zu gelangen», sagte Adrien Gonckel, IT-Vorstand der Gruppe Givaudan. Atos entwickelt für Givaudan eine masseschneiderte Lösung unter Einbeziehung aller grundlegenden Aspekte des IT-Outsourcing. Dazu gehört Überwachen, Verwalten, Abwickeln und Warten sämtlicher IT-Dienste.
Geschichte von Atos
Atos entstand im Juli 2011 aus der Übernahme von Siemens IT Solutions and Services durch Atos Origin. Letzteres Unternehmen wurde seinerseit durch die Fusion von Atos und Origin im Jahr 2000 gebildet. Die französische Firma mit Hauptsitz in Bezons nahe Paris wuchs stetig durch Akquisitionen und Outsourcing-Vereinbarungen, die Personal- und Technologietransfers umfassten. Im Jahr 2002 kam durch die Übernahme des Beratungsgeschäfts von KPMG in Grossbritannien und den Niederlanden die Firma Atos Consulting hinzu. Im Januar 2004 wurde von Schlumberger die Sema-Gruppe übernommen, mit 20’000 Beschäftigten und einen Jahresumsatz von rund 2,4 Milliarden Euro.
Siemens IT Solutions and Services entstand nach dem Antritt von Peter Löscher als CEO von Siemens im Jahr 2007, durch die Verschmelzung von Siemens Business Services (Deutschland), Business Innovation Center (Schweiz), Program and System Engineering (Österreich), Siemens Information (Indien) und Development Innovations and Projects (Griechenland). Siemens IT Solutions and Services gliederte sich in die Bereiche IT-Lösungen und Outsourcing Services. Im Dezember 2009 kündigte Löscher an, SIS als eigenständiges Unternehmen aus dem Konzern auszugliedern. Im Jahr 2010 erwirtschaftete SIS als eigenständige GmbH mit noch 32’000 Beschäftigten einen Umsatz von 3,7 Milliarden Euro – während eines Abbauprogramms um 4’200 Beschäftigte von 35’000 . Mehr als 75 Prozent des Umsatzes wurden ausserhalb des Siemens-Konzerns erzielt.
Heute ist Atos ein internationaler Anbieter von IT-Dienstleistungen mit einem Jahresumsatz 2012 von 8,8 Milliarden Euro und 76’400 Mitarbeitern in 47 Ländern.
(Marco Rohner)
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