Menschliche Fehler häufen sich im Cloud Computing

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Holger Engelland ist seit 15 Jahren bei Kroll Ontrack. Der Datenrettungsexperte hat in Zürich über seine reiche Erfahrung mit virtuellen Umgebungen von VMware gesprochen. Cloud Computing erhöht das Risiko für Datenverluste. Die häufigsten Notfälle entstehen aufgrund menschlichen Versagens. In der Schweiz betreffen 9 von 10 Datenverlust-Fällen persönliche Computer wie Notebooks. 

Christine Hammer von Kroll Ontrack in Wallisellen sucht im Reinraum verlorene Daten. (mro)

Die zusätzliche Komplexität der Infrastruktur für Cloud Computing und virtuelle IT-Umgebungen erfordert bessere Leute als konventionelle IT. Die Hohe Komplexität entsteht durch den Einsatz zusätzlicher Tools zum Verwalten und automatisieren. Virtuelle Maschinen lassen sich schnell installieren, verschieben oder neu konfigurieren. Diese willkommene Flexibilität erhöht aber auch die Fehleranfälligkeit. «Oft hinken die Dokumentation und der Backup-Plan von IT-Abteilungen dem schnellen Wachstum der virtuellen Systeme hinterher. Wenn die wenige Hardware ausfällt, sind mehrere Funktionen wie beispielsweise Exchange-Server und Oracle-Datenbanken betroffen», sagte Holger Engelland, Manager Data Recovery Engineering von Kroll Ontrack in Deutschland. Das Tätigkeitsfeld von Kroll Ontrack ist global, auch als Partner von VMware, dem weltweiten Marktführer für Virtualisierungs-Software. 

Die Effekte des Kostensparens mit Virtualisierung und Cloud Computing treten oft in Konkurrenz zur Sicherheit dieser komplexen Systeme. Dies führt in den letzten Jahren öfter zu Fällen für die Datenrettung. Auf Nachfrage von Greenbyte.ch, wie viele der Fälle von Kroll Ontrack mit unternehmerisch vertretbaren Zusatzkosten in Sicherheit hätten verhindert werden können, antwortete Engelland: «Fast alle.» Datensicherheit sei zwar mit Kosten verbunden, aber sie schütze in den allermeisten Fällen vor Datenverlusten. «Eine gute, dem Unternehmen angepasste Strategie schützt in allen Fällen, auch bei Naturkatastophen», sagte Engelland. Manchmal kann die Strategie auch so aussehen, das von vornherein die Datenretter für die bewusst fehlende Sicherheit eingeplant sind.

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Datenrettung anstatt Datensicherheit kann Geld sparen

Giusi Liistro, die Chefin von Kroll Ontrack Schweiz, weiss von zwei Schweizer Grossunternehmen, die bewusst die Datensicherheit vernachlässigen und so zu Stammkunden von Kroll Ontrack geworden sind. Diese Unternehmen betreiben ihre Notebook-Flotte systematisch ohne Backup. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Aussendienst sind dort selbst für ihre Daten verantwortlich. Dies spart eine komplette Backup-Infrastruktur mit Server, Festplatten und Backup-Software. Auch so kann man Strom sparen. Letztlich koste die Datenrettung in einem wirklichen Notfall dieser Unternehmen weniger als ein konsequenter Datenschutz.

Bei traditionellen Systemen (ohne Virtualisierung) sind in drei von vier Fällen technische Probleme verantwortlich. Das können System- oder Hardwarefehler genauso wie Umwelteinflüsse sein, beispielsweise ein Ausfall der Notstromversorgung oder Überspannung.

«90 Prozent aller unserer Schweizer Fälle betreffen Notebooks und nur 10 Prozent Server-Umgebungen», sagte Liistro. Festplatten sind einfacher wiederherzustellen als SSD-Festspeicher wegen der höheren Anzahl von Herstellern; RAID- und SAN-Umgebungen sind schwieriger; noch schwieriger sind proprietäre Dateisystem wie NTFS und ZFS oder Dokument-Management-Datenbanken wie bei IBM-, SAP- oder Oracle-Software, aber virtuelle Server wie VMware V-Sphere oder Microsoft Hyper-V stellen eine ungleich höhere Herausforderung dar. «Die Dateisysteme der virtuellen Umgebungen sind verschachtelt wie eine Matrjoschka-Figur», so Engelland.

Datenexplosion erhöht Rettungsaufwand

Holger Engelland erregt als Datenretter die Emotionen von Informatikern. (pd)

Mit der Komplexität der Systeme und der Zunahme der Datenmenge steigen auch die Risiken und Gefahren. «Bei heute mehreren Terabytes an Daten kann der Aufwand den Nutzen manchmal erheblich übersteigen», so Engelland. Die häufigsten Gründe für Datenverlust hat Kroll Ontrack bei einer Umfrage unter VMword-Teilnehmern erörtert: Es sind zu je 28 Prozent beschädigte virtuelle Laufwerke und gelöschte Dateien in virtuellen Systemen; 25 Prozent sind RAID- oder Hardwarefehler. In 13 Prozent der Fälle führen Formatierungen und Neuinstallationen zu gelöschten Datenträgern.

In zwei von drei Fällen sind Menschen für die Fehler verantwortlich, nur jeder dritte Fall tritt aufgrund technischer Probleme auf. Häufig trifft Engelland bei den Firmen gar nicht mehr die Leute an, die das Problem verursachten; sie sind dann bereits entlassen. Dies macht die Datenrettung nochmals schwieriger und teurer, weil sie mit viel Wissen aus der System-Architektur verbunden ist, zudem erfordert die Aufgabe auch systematisches Re-Engineering aller Datenträger und Speicher-Controller. Dies beschäftigt einen Ingenieur bei Kroll Ontrack das ganze Jahr im Labor, um im Notfall bei Kunden schnell reagieren zu können. Selbstverständlich sind Open Source und freie Software einfacher zu durchschauen und wiederherzustellen. Die grössten Notfälle beschäftigt einen Datenretter-Ingenieur für eine ganze Woche, entweder vor Ort oder per Fernzugriff. Engelland hat in seinen 15 Jahren bei Kroll Ontrack schon viele Tragödien und Dramen miterlebt und weiss: «Wir erleben die raren Momente, in denen Informatiker ihre Emotionen zeigen.» 

(Marco Rohner)

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Marco Rohner
Journalistischer Unternehmer der neu erfindet, wie Geschichten in einer allzeit verbundenen Welt erzählt werden. Er ist Herausgeber von Greenbyte.ch, dem weltweit exklusiven Online-Magazin über den nachhaltigen Nutzen von Informationstechnologie, gegründet im Jahr 2011 und 500'000 Leser in den ersten drei Jahren erreicht.