«Why!»: Der nachhaltige Schweizer PC

Anzeige:

François Marthaler will mit dem Startup «Why! open computing» nachhaltige PC etablieren. Die Why-Computer sollen 10 Jahre halten. Sie laufen mit GNU-Linux, sind für jedermann leicht zu reparieren und für ihre Energie-Effizienz zertifiziert.

why_Marthaler_photo_Jose_Crespo

Alt-Regierungsrat Francois Marthaler vermarktet nachhaltige Computer und forciert Open-Source-Software. (Jose Crespo)

«Why! open computing» in Lausanne produziert und vermarktet wirklich nachhaltige und energie-effiziente Laptops und Desktops. Sie besitzen das strenge Label Energy Star 5 und sind so gebaut, dass jedermann leicht die Maschine öffnen und Komponenten ersetzen kann. Ersatzteile werden für zehn Jahre garantiert. Dadurch will der Gründer der Gesellschaft, Alt-Waadtländer-Regierungsrat François Marthaler, gegen die vorbestimmte Veralterung der Produkte im Elektronikmarkt kämpfen. Die Computer laufen mit Canonicals Linux-Distribution Ubuntu und werden mit einer vollständigen Palette von Programmen geliefert. Gezielt ist zurzeit der Schweizer Privatmarkt.

François Marthaler, echter Grüner, scheut sich nicht, alles für seine Überzeugungen einzusetzen und auch die Konsequenzen zu tragen. Das hat er während seiner neunjährigen Amtszeit in der Waadtländer Regierung und in eidgenössischen Gremien stets bewiesen. Heute führt er seinen Kampf zugunsten der Umwelt mit einem Unternehmen weiter, das nachhaltige, reparierbare und energieeffiziente PCs anbietet. Bereits in 1980 hatte Marthaler in Lausanne einen Laden gegründet, «la Bonne combine» (die gute Masche); dort werden heute noch Haushaltsgeräte von Waschmaschinen bis Handys repariert, um ihre Lebensdauer zu erhöhen. «Wir müssen uns wehren gegen die vorbestimmte Veralterung der Hersteller», meint er. «Sie tun alles, damit ihre Produkte nicht oder nur mit hohen Kosten repariert werden können. Sie zwingen uns bereits nach ein paar Jahren zum Ersatz. Diese Geschäftspolitik erzeugt einen enormen Ressourcen-Verschleiss. Die Umweltbelastung ist verheerend.»

Anzeige:

Für Marthalter ist ein gutes Beispiel der Verbrauch von seltenen und bedrohten Rohstoffen wie Indium und Neodym. «Die Gewinnung der für die Elektronik notwendigen Mengen dieser Elemente ist mit hohem Energieverbrauch verbunden. Energie wird nicht nur beim Betrieb der Geräte verbraucht, sondern vor allem bei Ihrer Herstellung (die sogenannte graue Energie).» Effektiv zeigte bereits 2009 eine EMPA-Studie, dass die globale Belastung der Umwelt durch die Herstellung eines Laptops oder Desktops vier- bis fünfmal höher ist als während der Nutzungszeit.

Wie nachhaltig sind Why-Computer?

Why Computer Ausbau

Anleitung zum Ausbau des Prozessors auf Ifixit.com: so einfach ist es! (pd)

Um gegen diese bedenkliche Tatsache zu kämpfen, gründete Marthaler 2012 eine Aktiengesellschaft und brachte im September 2013 zwei Computer auf den Markt: das Notebook W235EU zum Preis von 650 Franken und den Desktop WDi7SSD, der 1400 Franken kostet. Beide sind entwickelt um gut zehn Jahre zu dauern. Der Besitzer dieser Maschinen ist selber in der Lage, das Gerät zu öffnen und Komponenten auszuwechseln, sei es um ein defektes Teil zu ersetzen oder ein leistungsfähigeres einzubauen. Ein Standard-Schraubenzieher genügt, um die Maschine zu öffnen. Auf der Website ifixit.com findet man klare Anweisungen mit Bildern zum Austausch des Prozessors, des Arbeitsspeichers oder sogar des Bildschirms; auch Motherboard oder Batterie lassen sich einfach auswechseln. Die Verfügbarkeit der Komponenten wird für ca. zehn Jahre garantiert. Es sind ausschliesslich Standardteile von OEM-Herstellern. «Man kann alles selber in weniger als 10 Minuten reparieren oder ersetzen», sagt Marthaler stolz. Es sei das erste Mal, dass ein Hersteller alle notwendigen Informationen für eine Reparatur zur Verfügung stelle. Dennoch soll sich der Besitzer nicht einsam fühlen: 130 Vertriebspartner in der ganzen Schweiz verfügen über das nötige Wissen. Marthaler hat auch mit Steg Computer eine Partnerschaft abgeschlossen, um Peripheriegeräte für die Why-Computer zu zertifizieren. Nachhaltigkeit? Check!

Wie effizient sind Why-Rechner?

Why Desktop

Der Energy Star Desktop why! WDi7SSD: Intel Core i7-3770S, 8 GB Zentralspeicher, 120 GB SSD. (pd)

Am 5. Dezember 2012 erhielt Why! open computing für seine Computer das strenge Label Energy Star 5.0. Für Laptops fordert die Norm, dass sie mit Bildschirm weniger als 41.6 Kilowattstunden (KWh) pro Jahr verbrauchen. Der Why-Laptop verbraucht 36.5. Für Desktops ohne Bildschirm fordert die Norm einen Verbrauch unter 288 KWh/Jahr. Der Why-Desktop verbraucht nur 58. Die Messungen wurden von einem spezialisierten Labor der Ingenieurschule Yverdon-les-Bains (HEIG-VD) durchgeführt. Die Energy-Star-Initiative wurde 1992 von der amerikanischen Umweltbehörde EPA lanciert und 2002 in der EU übernommen. In der Schweiz steht das Programm Energy Star seit 2009 im Auftrag des Bundesamts für Energie unter der Obhut der Swico. Es ist das erste Mal, dass Computer in unserem Land nach dieser Norm zertifiziert werden. Energiefreundlichkeit? Check!

Benutzer-Freundlichkeit ohne Windows

Jetzt wird natürlich jeder sofort sagen «auch ich will ich so einen Computer, der nachhaltig ist, den ich selbst leicht reparieren und ausbauen kann und der so wenig Energie verbraucht» und wird sich den Prospekt genauer anschauen. Dann wird möglicherweise die Ernüchterung eintreffen: die Maschinen werden mit Linux geliefert und von Windows ist keine Rede! Bereits während seiner Amtszeit als Regierungsrat hatte sich Marthaler für den Einsatz von Open-Source-Software in allen Stellen der Waadtländer Regierung und auf eidgenössischer Ebene eingesetzt (mehr dazu im späteren Abschnitt). «Die Maschine ist 100 Prozent Microsoft-frei», sagt er stolz. Auch das gehöre zur Nachhaltigkeit. Niemand soll gezwungen sein, alle paar Jahre eine neue Version der Software zu kaufen. «Die meisten Server laufen heute unter Linux, bei PC ist es aber nur 1 Prozent. Wir glauben an Linux auf dem PC und wollen diesen Anteil verdoppeln», so Marthaler. Linux sei eine sehr elegante Lösung für Laptops und Desktops. Die Why-Maschinen werden funktionsbereit mit der Linux-Distribution «Ubuntu 12.04 LTS» als Betriebssystem geliefert, langzeitiger Gratissupport inbegriffen. Enthaltene Programme sind Browser, Media Player, Bürosoftware (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Zeichnungssoftware, Präsentationen und Datenbank), E-Mail-Client, Photo- und Videoverarbeitung. Dazu kommen Anweisungen für den Datentransfer von der alten auf die neue Maschine. Selbstverständlich hat der Anwender auch Zugriff auf die riesige Gratissoftware-Bibliothek des «Ubuntu Software Centre» und  der Linux-Community.

«To Linux or not to Linux? That is really the question.» Die Benutzer haben sich bereits an Android gewöhnt – das mobile Linux-Derivat von Google. Vermutlich wird ihnen also der teilweise Microsoft-Entzug nicht mehr so schwer fallen. Benutzerfreundlich? Check! Falls man bereit ist, die Nabelschnur zu Redmond abzuschneiden. Mehr Informationen über Linux-basierte Systeme sowie deren Entstehung, Anwendung und Siegeszug lesen sie in einem früheren Greenbyte-Beitrag: GNU/Linux revolutioniert Informatik.

Kampf an zwei Fronten oder zwei Fliegen mit einer Klappe?

Why-Notebook

Das Energy Star 5 zertifizierte Notebook Why! W253EU mit Intel Core i5-3210M, 8GB Zentralspeicher, 500 GB HDD, 15.6-Zoll LED Bildschirm. Seit Ende Januar 2014 ist es auch mit einer 240 GB SSD verfügbar. (pd)

Greenbyte.ch hat François Marthaler gefragt: «Führen Sie in der Tat nicht einen doppelten Kampf, einmal für Nachhaltigkeit und einmal für Open-Source-Software? Schrecken Sie dadurch nicht Leute ab, diese nachhaltigen Rechner anzuschaffen, weil sie nicht auf Linux umsteigen möchten?» Laut Marthaler sei es ein und derselbe Kampf: «Nachhaltigkeit soll für Hardware und Software gelten. Es ist nicht annehmbar, dass man alle paar Jahre neue Versionen der Software installieren und bezahlen muss.» Was die Angst vor dem Umstieg auf Linux betreffe, könne er behaupten, dass das Feedback von Personen, die zuerst Bedenken hatten aber den Schritt trotzdem gewagt haben, sehr positiv sei. «Die Probleme bei der Umstellung sind minim und die Leute begeistern sich rasch für ihr neues System und werden, davon bin ich sicher, nie mehr zurückkehren. Wir sind überzeugt, dass der Privatbenutzer mit Linux und Open-Source-Software viel besser lebt als in der Windows-Welt. Alles was er braucht ist vorhanden, meistens gratis.» Im Geschäftsbereich sei dies eine andere Sache: «Die Anwender nutzen dort viele unterschiedliche und spezialisierte Programme – ein Übergang auf Linux wäre in vielen Fällen nicht realistisch. Wir konzentrieren uns derzeit auf den Privatmarkt.» Marthaler schlägt denen vor, die sich vor Linux fürchten, einen der Why-Vertriebspartner zu besuchen und sich die Maschine demonstrieren zu lassen. «Ich bin sicher, sie werden begeistert sein und ihre Furcht beiseite legen! Und sowieso ist es immer möglich, mit Programmen wie Virtualbox eine virtuelle Gastmaschine mit Windows bereitzustellen.»

Steckbrief des Why-Benutzers

Wer ist der potentielle Why-Benutzer? Für Marthaler sind es Personen, die es satt haben, alle paar Jahre eine neue Maschine oder ein neues Peripheriegerät kaufen zu müssen, weil das alte Modell mit neuer Software nicht mehr verträglich ist. Oder für diejenigen, die eine neue Version der Software kaufen und erlernen müssen, obwohl die alte volle Zufriedenheit bringe. Es sind Menschen, die selber entscheiden wollen, ob und wann sie wechseln. Im anhaltenden Tablet-Boom sieht Marthaler keine Gefahr für sein Ziel: «Der grossen Mehrheit der Nutzer, die auf Internet surft und ihre Bilder verwaltet, genügt ein Tablet durchaus. Zum Verarbeiten von Daten, zur Verarbeitung von Bildern und Erstellung von grossen Texten und Mailings, braucht es einen vollwertigen PC. Wir schätzen, dass sich 98 Prozent der Benutzer in der Microsoft- oder Apple-Welt wohl fühlen oder vor einem Wechsel Angst haben.» Der potentielle Markt für Personal-Computer unter Linux betrage also 2 Prozent – rund 14‘000 Maschinen in der Schweiz. «Zuerst wollen wir die erste Serie von 500 bereits gebauten Laptops verkaufen. Längerfristig möchten wir aber dieses 2-Prozent-Potential voll ausnutzen und damit einen Umsatz von 12 Millionen Franken erzielen. Und, falls das Geschäft läuft, sind wir bereit, das Sortiment zu erweitern, zum Beispiel mit leistungsfähigeren Modellen. Oder auf den europäischen Markt zu gehen, dessen Potential wir auf 400‘000 Maschinen schätzen.» Wie soll das alles finanziert werden? Einen starken Partner? Business Angel? Auch hier hat Marthaler andere Ideen: Crowfunding heisst für ihn der Weg in die Zukunft.

Die Why-Computer werden mit Komponenten des taiwanesischen Herstellers Clevo in den Niederlanden zusammengestellt. Marthaler meint: «Warum nicht in der Schweiz, falls das Volumen es ermöglicht?»

Marthalers harter Kampf für Open-Source-Software

Während seines Amtes als Regierungsrat kämpfte Marthaler «manchmal extrem hart!» im Steuerungsausschuss E-Government Schweiz für das Teilen von kantonal entwickelten Lösungen und gegen Monopole von Software-Lieferanten. Im Rahmen der Schweizerischen Informatik-Konferenz (SIK) wirkte er für die Erarbeitung der GPL-SIK-Lizenz, eine mit dem Schweizer Recht verträgliche Open-Source-Software-Lizenz, und das Aufstellen einer «Schmiede» für teilbare Softwarekomponenten. Seinen Kampf führte er auch im Rahmen der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektoren weiter, unter anderem für CAMAC, die E-Government-Lösung für Baubewilligungen, eine im Waadt entwickelte Software, die heute in drei Sprachen von mehreren Kantonen verwendet wird.

(Jean-Luc Perrenoud)

The following two tabs change content below.
Jean-Luc Perrenoud
Jean-Luc Perrenoud promoviert 1968 in Kernphysik an der ETH, betreibt anschliessend Forschung und Lehre an der UCLA und am California Institute of Technology. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wechselt er zur Informatik als Leiter der Systemgruppe in zwei Unternehmen. Seit 1978 ist er selbständig erwerbend und auf Software-Entwicklung spezialisiert. Seine Kurse über Programmierungstechnologie, Datenbankdesign und Objektorientierung auf Französisch, Deutsch und Englisch organisiert er in ganz Europa und in den USA. Während mehrerer Jahre ist er Mitglied der SIZ-Prüfungskommission. Seit 1990 als Freelance IT-Journalist tätig.
Jean-Luc Perrenoud

Neueste Artikel von Jean-Luc Perrenoud (alle ansehen)