Microsoft hat die Übernahme von Nokias Handygeschäft für 7,2 Milliarden Dollar angekündigt. Die Finnen konzentrieren sich auf das Netzwerkgeschäft und Kartendienste. Eine Kopie von Apple wäre aber der falsche Weg, Microsoft sollte sich auf ihre Software und eine eigene digitale Vertriebsplattform konzentrieren.
Microsoft hat die Übernahme von Nokias Mobiltelefon-Geschäft «Devices & Services» und Lizenzen für 5,44 Milliarden Euro (umgerechnet 7,17 Milliarden Dollar) in bar angekündigt. Der Umsatz der Sparte betrug im vergangenen Geschäftsjahr rund 14,9 Milliarden Euro. Mit knapp einem Drittel des Verkaufspreises, 1,65 Milliarden Euro, kaufen die Amerikaner Patentlizenzen von Nokia. Der Transaktion müssen noch die Aktionäre beider Unternehmen und die Wettbewerbsbehörden zustimmen. Die Unternehmen wollen sie im ersten Quartal 2014 vollziehen. «Es ist ein kühner Schritt in die Zukunft – ein Gewinn für die Mitarbeiter, die Aktionäre und die Kunden beider Unternehmen», erklärte Ballmer.
32’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wechseln das Unternehmen. davon 4700 in Finnland und 18 300 Personen weltweiten in der Handy-Produktion. Die Finnen konzentrieren sich insgesamt mit 56’000 Angestellten drei Geschäftbereiche: das Geschäft mit Netzwerk-Infrastruktur (ehemalige Nokia Siemens Networks); die Kartendienste «Here» als Cloud-Anbieter unter anderem für Autos; die Sparte «Advanced Systems» mit dem Lizenzgeschäft für 10’000 Patente von Nokia. Vorläufiger Nokia-CEO wird Risto Siilasmaa, der Vorsitzende des Verwaltungsrats.
Der Kanadier und Nokia-CEO Stephen Elop wechselt als Executive Vice President of Devices and Services zurück zu Microsoft. Er war bereits 2008 Chef von Microsofts «Business Division» und seit 2010 bei Nokia als CEO verantwortlich. Microsoft hat nur einmal für eine Übernahme mehr Geld ausgegeben – ebenfalls für ein skandinavisches Unternehmen: 8,5 Milliarden Dollar für Skype im Sommer 2011. Microsoft darf die Nokia-Marke für 10 Jahre nutzen, aber nur für die konventionellen Handys, nicht für die Lumia-Smartphones. Die Marke Lumia ist im Kaufpreis enthalten. Die nächsten Modelle ab 2014 müssten demnach «Microsoft Lumia» heissen.
Apple als Vorbild?
Die Übernahme bringt Microsoft im Hardware-Geschäft erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Patente. Die Fusion von Software und Hardware allein bringt rein gar nichts. Diese Design-Philosophie, die von Steve Jobs mitgeprägt wurde (Nintendo ist damit seit 30 Jahren im Geschäft), dient dem Nutzererlebnis. Sie bedingt, stetig und kompromisslos verfolgt und umgesetzt zu werden. Sie erfordert vor allem Wettbewerksfähigkeit in beiden, eigentlich getrennten Märkten für Software und Hardware. Das Web und Cloud Computing verändert diesen Markt, aber noch nicht stark genug, um etwas Grundlegendes zu verändern. Doch auch bei Cloud Computing ist Microsoft mit Azure, der Plattform-as-a-Service (PAAS) und Office 365, als Software-as-a-Service (SAAS) nur ein Anbieter unter vielen.
Jobs hatte das Design-Kunststück einer ineinander integrierten und sich ergänzenden Soft- und Hardware geschafft mit dem Macintosh, bei Next und bei Pixar, wobei auch er bei beiden Unternehmen als CEO die Hardware nicht markt- und überlebensfähig machen konnte: Next konnte im Workstation-Segment gegen Sun Microsystems nicht gewinnen. Die Firma mit Gründer Jobs wurde teuer an Apple verkauft und bildete die Basis für Mac OSX. Pixar gab das Hardware-Geschäft schon früh unter Jobs ganz auf und lizensierte die Software an Studios wie Disney. Es waren tolle Produkte, die den Nutzern gefielen. Was hat Microsoft an tollen Produkten für die Post-PC-Ära? Azure, Windows 8, Windows Phone 7, Office 365, Xbox One? Dem Hauptproblem von Windows Phone ist die fehlende Software, die fehlenden Apps. Doch Windows Phone ist Nokias einziges Standbein im nun an Microsoft verkauften Unternehmensteil. Nokia kann nur verlieren. Microsoft geht mit dem Nokia-Kauf einen Schritt weiter und wird vom Sargnagel zum Grab.
«Cashcow» Office erwächst Konkurrenz
Office mag tatsächlich die Killerapplikation sein, um Geschäftskunden zu überzeugen. Doch bisher funktioniert die beliebte Bürosoftware weder auf den mobilen Geräten von Apple, noch von Samsung oder allen andern Android-kompatiblen Geräten wie von LG, HTC und Motorola, sowie allen weiteren Anbietern, die noch bei Googles mobilem Linux-Betriebssystem dabei sind oder dazu kommen. Die Kunden haben da bereits Office-Alternativen zur Auswahl.
Nokia kann nur verlieren. Microsoft geht mit dem Nokia-Kauf einen Schritt weiter und wird vom Sargnagel zum Grab.
Ein weiterer Aspekt ist mit Android wichtig: die Lizenzen und Patente. Zum Leidwesen aller Android-Hersteller hat auf dieser Plattform Oracle seine Java-Patente im Geschäft und kassiert mit am Erfolg nach erfolgreichen Patent-Klagen, genauso wie Microsoft für Patent-Lizenzen pro Android-Gerät mitverdient. Ein Vorteil war dazu, dass der Software-Riese aus Redmond, entgegen der jetzt vielfach verbreiteten Meinung, keineswegs den Trend zur Mobilität verschlafen hat. Seit Windows CE, also seit 15 Jahren, hat Microsoft ein Angebot für Mobilgeräte (obwohl es für integrierte PC in Industrie-Apparaten erfolgreicher ist), darauf baute später «Pocket PC» und «Windows Mobile» auf, das als Palm-und Nokia-Konkurrenz lange vor dem iPhone erschien.
Auch die Tablet-PC sind keine Erfindung von Apple. Nur der Touchscreen und die Fingerbedienung war neu bei iPad und iPhone. Das war aber noch lange nicht der Erfolgsfaktor von Apple, trotz dieser integrierter Hard- und Software. Erst die Integration von iTunes und die Öffnung der bereits grössten digitalen Distributionsplattform für mediale Inhalte an Apps von Drittherstellern bedeutete den entscheidenden Durchbruch für die Mobilgeräte von Apple. Dies ermöglichte eine Masse an Inhalten, die heute wohl jedem (zumindest mir geht es so) die Sprache verschlägt, der lückenlos seine Lieblingsapps aufzählen soll – es sind zu viele!
Software-Angebot ist entscheidend
Als weiteres Argument gegen das Erfolgsmärchen von Integration von Soft- und Hardware ist Android trotzdem erfolgreich und kann heute sogar noch mehr Apps als der iTunes-Store anbieten. Wobei die reine Anzahl nicht den Unterschied macht, sondern die Software an sich. Etliche Apps und Games sind ausschliesslich für Apple erhältlich. Das verdeutlich die Macht der Software. Microsoft kann dies ausspielen – sofern der neue CEO diese Macht erkennt. Das hat im Haus des Software-Giganten aber keine Tradition.
Ein Beispiel: Bei der Xbox wird auch der Service als Erfolgskriterium herausgehoben, obwohl Preispolitik und Einkauf von spezialisierten Software-Herstellern für exklusive Inhalte den Unterschied gegenüber den dortigen Konkurrenten Sony und Nintendo machten. Erst nach Jahren enttäuschender Hardware-Verkaufszahlen (ausser den USA) wurde der Preis gesenkt und der deutliche Unterschied des Software-Angebots erreicht. Mit dem Surface-Tablet machte Balmer den genau gleichen Fehler, mit Windows RT ebenfalls, wenn auch gleichzeitig. Denn wenn die anderen Software-Unternehmen und Entwickler schon nicht von sich aus für eine Plattform ihre Programme schreiben, dann müssen sie mit einer grossen Hardware-Verbreitung auf eine Plattform gelockt werden. Ohne die nötige, hohe Anzahl beliebter Apps wären die Unterschiede zu gering und somit nur einen tiefer Preis der Verbreitung förderlich.
Unter dem neuen Slogan «One Microsoft», hinter dem alle Divisionen zusammen arbeiten werden, könnte der Kauf von Nokia erst richtig Sinn manchen. Denn nehmen wir die Microsoft Studios zusammen mit der Business Division, Xbox Live als iTunes-Pendant und Surface als Hardware-Plattform, entstünde ein integriertes System um Xbox Live und Windows sowie Windows Phone, auf dem alle Apps lauffähig sind und ein gemeinsames System von PC und Mobile entsteht, das Apple noch nicht hat, weil iOS-Apps nicht auf Mac laufen. Dieses Konzept würde allerdings eine Technologie erfordern, die Touchscreen-Funktionen auf alle Windows-PC übersetzt, auch solche mit Maus und Tastatur. Kinect, die Kamera für Gestensteuerung und die beste Peripherie der letzten Jahre, könnte dazu nützlich werden. An diesem Beispiel wird ersichtlich, wie zersplittert Microsoft organisiert ist und wie sehr eine Organisation wie bei Apple erfolgversprechender wäre, bei der jede Woche alle Chefs der Divisionen zusammen kommen und sich über alles austauschen.
Elop ist würdiger Balmer-Nachfolger, aber unpassend
Die nötige Buchhalter-Einstellung, um das Mass zwischen aggressivem Verkaufspreis und erhöhter App-Auswahl zu fördern, hätte Balmer und sie ist offensichtlich auch eine Stärke seines potentiellen Nachfolgers, sollte dieser Stephen Elop und nicht Paul Maritz heissen. Maritz war die ehemalige Nummer 3 hinter Bill Gates und Steve Balmer, bis er zu VMware ging. Mit dem zukunftsantizipierenden, ursprünglichen Ingenieur Maritz könnte Microsoft wieder innovativ sein, nicht nur in der Forschung und Entwicklung, sondern auch mit Produkten, die im täglichen Geschäft positiv einschlagen.
Elop hingegen machte bisher bei Nokia den Eindruck, dass er ein würdiger Nachfolger für Balmer sei: Er hat keine Bäume ausgerissen und den Erfolg, respektive für Elop eher den Misserfolg, gut verwaltet. Aus eigener Kraft schaffte keiner der beiden den Abwärtstrend umzukehren. Obwohl, im Falle von Balmer sind Windows Vista und Windows 8 sowie die Erfolglosigkeit von Windows Phone die grössten Kritikpunkte. Google und Apple waren mit ihrem Umsatz- und Gewinn-Wachstum erfolgreicher, auch erfolgreicher als HP, Dell und Intel – neben Nokia sind dies Microsofts beste Geschäftspartnern. Wobei Lenovo unter den besten Microsoft-Geschäftspartnern die Ausnahme bildet, vor allem wegen des florierenden Asiengeschäfts. Alle diese Geschäftspartner hat Microsoft mit dem Einstieg ins Hardwaregeschäft vor den Kopf gestossen, Intel wegen dem ARM-basierten Surface RT.
Lizenzen und Patente erhöhen Einnahmen
Die Vorteile des Nokia-Kaufs sind klar aus buchhalterischen Faktoren ersichtlich. Die Kosten für Hardware-Produktion werden sinken, Nokias Expertise im Supply-Chain wird ein weiterer kostensenkender Faktor für die Microsoft-Geräte sein. Wie beim Kauf vom Motorola durch Google steht auch nun bei Nokia und Microsoft der Hauptgrund im Patent-Reichtum des finnischen Unternehmens. Im Gegensatz zu Google, das sich und Android-Nutzer so gegen Patentklagen schützt, ist die Motivation von Microsoft eher umgekehrt: um mit Patenten mehr Lizenzeinnahmen aus den Android-Smartphone-Herstellern herauszuholen.
Nokia gehörte mal zu den innovativsten Unternehmen weltweit. Sie haben auch nicht, genauso wenig wie Microsoft den Tablet-Markt, den Smartphone-Trend verschlafen – im Gegenteil! Nokia Smartphones mit Symbian-Betriebssystem waren lange Zeit an der Spitze, lange vor Apples iPhone mit iOS. Nokia ist Pionier! Damals wurden gleiche Konzepte für den mobilen Arbeitsplatz wie Pocket-PC, Tablet-PC und Smartphone in getrennten Märkten analysiert – im Rückblick ein heute unglaublicher Ausdruck von Entscheidungsfreude während revolutionärer Marktveränderungen, die immer noch nicht so schnell fortschreiten, wie es sich ungeduldige Marktanalysten und Aktienhändler wünschen. Die nachhaltige Entwicklung geht langsam wie eine Schnecke, aber stetig voran – wehe dem, der im Schleim hängen bleibt.
Microsoft-Erfolg steht auf wackligen Beinen
Überhaupt gibt es kein «zu Spät sein» in einer kompetitiven Wirtschaft von heute. Unternehmen können es sich gar nicht erst leisten, Trends zu verschlafen, schon gar nicht Riesen wie Microsoft und Nokia, die beide zu den weltweit attraktivsten Arbeitgebern gehören und dementsprechend sich die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aussuchen. Die Unternehmen können die Trends auch nicht ignorieren, dann wären sie sofort weg. Aber sie können sehr wohl falsch reagiere; das gehört zum Lernprozess, der zum Erfolg führt.
Erfolg lässt sich nicht kaufen, sondern nur verdienen, indem man hartnäckig ist und nicht aufgibt. Nokia hat aufgegeben, bereits mit dem Entscheid weg von Symbian, gegen Android und für Windows Phone. Der Verkauf von Nokia in die USA ist für den europäischen IT-Entwicklungsstandort, den Datenschutz und die Nokia-Aktionäre, die jetzt nicht schnell verkaufen, eine Katastrophe. Ohne genug Software, die an Qualität und Auswahl mit Android und iOS mithalten kann, ist das Geschäftsmodell von Microsoft nicht solide genug, um in der Post-PC-Ära zu bestehen. Im Gegensatz zu Apple hat Microsoft aber die gute, weitverbreitete Software wie Office und muss sich nur auf eine Strategie und Plattform konzentrieren. So gesehen kann sich Microsoft für den Erfolg, mit oder ohne Nokia, nur selbst im Weg stehen.
(Marco Rohner)
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