Der Fachkräftemangel in der Schweiz und scharfe Ausländergesetze haben Startups zum Kampf um Arbeitsbewilligungen für Ausländer motiviert. Jan Fülscher ist einer der bekanntesten Startup-Berater der Schweiz. Er leitet zudem seit 2007 die Geschäfte des Vereins Business Angels Schweiz. Im Interview mit Greenbyte.ch fordert er einen Binnenmarkt für Software-Entwickler, die lokal verankert sind.
Zum Beginn seiner Laufbahn hat Jan Fülscher studienbegleitend für eine Telecom-Firma im Bereich Software gearbeitet. Nach seinem Master in BWL ist er als Management Consultant tätig und gründet 1999 selbst eine Beratungsfirma, die er 2003 verlässt. Fülscher arbeitet seither als selbständiger Berater für Jungunternehmen und hat rund ein Dutzend Jungunternehmen mitgegründet. Sein Wissen und seine Erfahrung nutzt er als Experte und Juror für Startup-Wettbewerbe. Zudem ist Fülscher Leiter der Fachgruppe Innovation des Fachverbands SwissICT. Im Rahmen dieser Funktion ist er auch federführend am «ICT Investor’s Day», der Startups mit Investoren zusammenbringt und im September bereits zum siebten Mal stattfindet.
Greenbyte.ch: Wie ist ihr Eindruck des Arbeitsmarktes für Informatik-Fachkräfte?
Jan Fülscher: Da ist ein realer Mangel. Die Schweizer Universitäten und die Fachhochschulen bilden zu wenige Absolventen aus. Zudem werden die Studenten der Fachhochschulen wegen des Praxisbezugs meistens schon während der Ausbildung von Unternehmen absorbiert.
Was bleibt den Schweizer Startups da noch übrig?
Ein Prozent aller Studentinnen und Studenten trägt das Startup-Virus in sich. Als Jungunternehmer nehmen sie das höhere Risiko und die sehr hohe Arbeitslast auf sich. Auch die Gehälter sind niedriger. Da Startups aus dem Bereich Informationstechnologie rund 40 Prozent der Jungunternehmen bilden, fehlt das Personal zum Wachstum. Somit führt der zunehmende Informatiker-Mangel zu verstärktem Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland.
«Der zunehmende Informatiker-Mangel führt zu verstärktem Anwerben von ausländischen Fachkräften.»
Woran kann es liegen, dass die Universitäten und Fachhochschulen zu wenig Informatik-Studenten ausbilden?
Es fehlt die Nachfrage. Die Hochschulen würde sicher mehr Studenten ausbilden. Aber die Studenten wollen nicht. Das ist ein Riesenproblem! Teilweise mag das Image des Nerds immer noch eine Rolle spielen, der allein im dunklen Kämmerlein vor sich hin programmiert. Ich vermute, dass auch der Ausbildungsmangel von ehemaligen Bankinformatik-Angestellten zu einem schlechten Image des Informatik beträgt. In den 1980er und 1990er Jahren explodierte die Nachfrage von Banken und Versicherungen nach Host-Programmieren. Sie schulten tausende Arbeitskräfte auf Informatik um. Doch ihre Ausbildung war eine Schnellbleiche – die Qualität der Arbeit entsprach dem Lohn nicht.
Auf schlechte Ausbildung folgten Entlassungen und Outsourcing.
Es folgte vor allem eine gnadenlose Selektion, bei der sehr viele Leute durch günstige Arbeitskräfte aus anderen Ländern ersetzt wurden. Sie wurden austauschbar. Das war für viele ein Schock. Diese Menschen waren ehemalige Metzger, Handwerker oder Büroangestellte, deren Informatik-Schnellbleiche und jahrelange Berufserfahrung zu eingeschränkt war. Dies hat dem Image geschadet und das Vertrauen der Informatik-Fachkräfte und -Studenten nachhaltig erschüttert.
Das ist bis heute Realität. Wann begann diese Praxis?
Banken haben seit Ende der 1990er Jahren viele Informatik-Arbeitsplätze in Billiglohnländer wie Indien und Osteuropa ausgelagert. Seither stehen diese einst sehr gefragten Leute auf der Strasse oder müssen miterleben, wie ihre vergleichsweise sehr guten Löhne und Arbeitsbedingungen den Spar-Runden zum Opfer fallen. Damals verdiente man 10’000 Franken im Monat und hatte sein eigenes Kabäuschen. Heute muss man mit 6000 bis 7000 Franken rechnen und teilt mit den Arbeitskollegen den gleichen Raum.
In welchem Zusammenhang sehen sie nun die ehemaligen Host-Programmierer im Ruhestand und die Studenten, die sich für eine Studienrichtung entscheiden?
Den direkten Zusammenhang gibt es nicht. Das sind zwei getrennte Gruppen. Vielleicht haben die Alten bei den Jungen das Bewusstsein geweckt, als Angestellte austauschbar zu sein.
Hat demnach das Startup-Umfeld einen Vorteil, weil man als Mitgründer weniger austauschbar ist?
Ich sehe den Fachkräftemangel nicht als Problem von Startups, weil sie zum grössten Teil zum Internet orientiert sind. Web-Applikationen sind einfach. Das kann fast jeder Mensch mit hoher mathematischer Begabung – eine moderne Programmiersprache kann man sich heute auch selbst beibringen.
«Ich sehe den Fachkräftemangel nicht als Problem von Startups, weil sie zum grössten Teil zum Internet orientiert sind. Web-Applikationen sind einfach.»
Für Förderbeiträge wird viel Innovation gefordert. Wie soll die entstehen, ohne die genialen Erfindungen der hochqualifizierten Teammitglieder?
Es braucht die Ingenieure, aber es braucht nicht unendlich viele. Für Web-Applikationen einen ETH-Informatik-Ingenieur abzustellen, ist wie mit einem Tiefbauingenieur einen Gartenweg zu bauen. Vielleicht braucht es einen Ingenieur für die Planung, aber der Rest ist sorgfältige Handarbeit. ETH-Absolventen sind dazu überqualifiziert. Man muss eine Programmiersprache beherrschen und die Ideen umsetzen können. Je einfacher die Applikationen sind, desto besser. Dann ist man flexibel genug, um das Produkt zu testen und den Kundenbedürfnissen anzupassen. Das braucht nicht zwingend ein solches Ingenieurswissen, wie man es an der ETH mit auf den Weg bekommt. Klar kann eine ETH-Ausbildung helfen; es gibt ja auch einige Beispiele wie Paul Sevinç, der Mitgründer und CTO von Doodle. Und er ist nur ein Beispiel von vielen. Solche Leute können neben dem Programmieren auch andere wichtige Funktionen erfüllen. Die Ingenieure brauchen wir für bestimmte hochtechnische Entscheidungen, aber für grosse Teile der Anwendungsentwicklung nicht. Darum ist es wichtig, dass die Ingenieure auch als Unternehmer ausgebildet werden, damit sie sich nicht hinter dem PC zu Tode langweilen.
Wie soll ein Startup wegen des Informatikermangels die zusätzlichen Fachkräfte aus dem Ausland einstellen, wenn die nötigen Arbeitsbewilligungen offenbar schwer zu bekommen sind?
Ich finde das Thema mit den Arbeitsbewilligungen echt komisch. Wenn man an der TU Berlin einen Stand aufstellt, da einen Job in der Schweiz anbietet mit 4500 Franken Salär im Monat, dann rauschen in kürzester Zeit 300 Leute an und wollen unterschreiben. Die können alle problemlos in der Schweiz arbeiten.
«Für Web-Applikationen einen ETH-Informatik-Ingenieur abzustellen, ist wie mit einem Tiefbauingenieur einen Gartenweg zu bauen.»
Das Problem bestehe ja mit den Arbeitsbewilligungen von Leuten aus Drittstaaaten ausserhalb des Schengen-Raums der EU und EFTA-Staaten wie Indien.
Da bin ich einverstanden! Wieso braucht es denn unbedingt einen Inder? Es gibt genügend gute Personen hier und im nahen Ausland. Das ist nicht nachhaltig. Die wollen ja irgendwann wieder zurück. Ausserdem sind Menschen aus dem näheren Ausland viel besser zu integrieren. Die sind uns auch kulturell viel näher als ein Asiate. Das Problem mit den Arbeitsbewilligungen ist nur eine Kostenfrage: Einige sind noch billiger zu bekommen als Schengen-Bürger. Andere Gründe kann ich nicht erkennen.
Die Universitäten sind global besetzt, um die besten Kräfte anzuziehen. Wenn man jetzt genau das Teammitglied gefunden hat, es aber nicht hier arbeiten darf: Das würde sie doch ärgern?
Klar, wenn der Buddy nicht mitarbeiten darf, ist das Pech. Aber dann arbeitet er eben von seinem Heimatland aus – das ist mit den heutigen technischen Möglichkeiten absolut normal. Ansonsten sucht man sich eben jemand anderes.
Wie ein Team zusammenpasst ist doch für Investoren jeweils der entscheidende Punkt?
Das stimmt. Der Startup-Erfolg kommt aus dem Nutzen, den es für die Kunden erbringt. Entscheidend ist die Schnittstelle zwischen dem Produkt und dem Menschen. Deshalb sind Interaction Designer heute sehr gesuchte Leute. Ein Programmier muss das Design umsetzen, der ist ohne Probleme ersetzbar. Wir brauchen einen Binnenmarkt für Software-Entwickler, die lokal verankert sind und somit wissen, unseren Markt zu bedienen.
Können sie das genauer erklären?
Der Startup-Erfolg ist letztlich das Resultat des Nutzens, den das Produkt für die Kunden erbringt. Für diesen Nutzen sehr wichtig ist die Schnittstelle, die das Produkt mit der Anwenderin und dem Anwender verbindet. Diese Schnittstelle muss entwickelt werden. Das machen zum Beispiel Interaction Designer, die heute sehr gesuchte Leute sind. Gute Interaction Designer verstehen viel von Sprache, Psychologie und Kultur. Schauen Sie sich beipielsweise eine indische Website an und Sie sehen, dass deren Designer ganz andere Prinzipien verwenden als unsere. Ein indischer Designer kann hier nicht gut arbeiten; deshalb ist es für mich es auch kein Problem, wenn er keine Arbeitsbewilligung erhält. Ein reiner Programmierer hingegen muss primär das Design umsetzen und mit Funktionalität unterlegen – diese Person ist einigermassen austauschbar. Solche Aufgaben können auch im Ausland bezogen werden.
«Startups können heute problemlos zu extrem guten Konditionen im Ausland einkaufen.»
Welchen Informatiker-Nachwuchs im Startup-Umfeld braucht die Schweiz?
Was wir meines Erachtens für die hiesigen Startups dringend brauchen, sind Software-Entwickler, die einerseits im Bereich Interaction Design sehr gut ausgebildet sind, und andererseits spezialisiert auf bestimmte Branchen sind. In beiden Bereichen halte ich das Risiko der Austauschbarkeit für viel geringer als beim klassischen Software-Entwickler, so dass die Schulen auch Langfrist-Perspektiven anbieten können. Hier sind also meines Erachtens Universitäten und Schulen gefordert. Startups können heute problemlos zu extrem guten Konditionen im Ausland einkaufen. Es gibt zahllose Unternehmen, die von hier aus Offshoring-Modelle mit Risikobeteiligung anbieten. Jammern bringt nichts; es braucht Flexibilität und Kreativität.
(Interview Marco Rohner)
Fachkräftemangel ist ein ungelöstes Problem
Der Mangel an Fachkräften in der Informatik ist seit Jahren ein ungelöstes Problem. Der Verband ICT-Berufsbildung Schweiz rechnet bis 2017 mit 32’000 fehlenden Informatikern. Von 2001 bis 2008 begannen an Schweizer Hochschulen 60 Prozent weniger Studierende. Die Anzahl der Studierenden an den Hochschulen nimmt zwar wieder zu; beispielsweise stiegen im vergangenen Jahr die Anzahl Informatik-Neueintritte der ETH gegenüber dem Vorjahr um 43 auf 400 Studenten. Mit insgesamt 1122 Studierenden der Informatik ist gegenüber 2002 ist der damalige Rekordstand von 1200 fast wieder erreicht.
Die Attraktivität der Schweizer Hochschulen wissen vermehrt Ausländer zu würdigen. Laut Bundesamt für Statistik wird sich der Anteil der sogenannten Bildungsausländer an allen Schweizer Hochschulen von 18 Prozent im Jahr 2009 auf 22 bis 24 Prozent im Jahr 2015 erhöhen. Im gleichen Zeitaum auf der Master-Stufe könne ihr Anteil von 29 Prozent auf 32 bis 33 Prozent steigen. 2011 an der ETH Zürich lag der Ausländer-Anteil auf vergleichbarer Master-Stufe bei 36 Prozent, bei allen Neueintritten gar bei 40 Prozent.
Dies ist grundsätzlich ein Zeichen für den guten Ruf der Schweizer Universitäten und Hochschulen. Die sowieso schon knappen Informatik-Fachkräfte, die hier studierten, dürfen aber nur zum Teil gar nicht hier bleiben und arbeiten. Die SVP-Politik des letzten Jahrzehnts habe die Arbeitsbewilligungen für Ausländer massiv eingeschränkt, wie Nationalrat, FDP-Vize- und ICT-Switzerland-Präsident Ruedi Noser im Januar dem Tages-Anzeiger sagte. Unter Startups führte diese Erfahrung zu Beginn des Jahres zu einem öffentlichen Aufschrei (Link zu «Open The Gates»). Die Stadt stellte sich am 6. Juni den Problemen der Jungunternehmen zum Thema Arbeitsbewilligungen (Link zu E-Zürich). Im Juli wurde an der Hochschule für Wirtschaft Zürich eine Fachstelle für Unternehmertum eingerichtet. (mro)
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«Fachkräftemangel ist kein Problem von Startups» Jan Fülscher, Startup-Berater & SwissICT Fachgruppenleiter provoziert http://t.co/sFScwNhc